Ungewollt kinderlos

Rosi
Foto: Getty Images/Erik Snyder

Lieber Herr Muchlinsky,
wir haben aufgrund einer Erkrankung meines Mannes im Kindesalter die Diagnose mit großer Wahrscheinlichkeit kinderlos zu bleiben. Wir beide wünschen uns aber sehr eine eigene Familie.

Nun fragen wir uns, wie wir damit umgehen sollen:
- es als gottgegebenes Schicksal hinnehmen?
- die Hoffnung auf ein Wunder setzen (statistisch gesehen bräuchten wir mit unseren Voraussetzungen 12 Jahre für ein Kind - ich bin allerdings schon 39 - verschiedene Ärzte sagten alle "sehr, sehr unwahrscheinlich" - trotzdem gibt es immer wieder Paare, denen dieses Wunder passiert)?
- künstlich befruchten? Lediglich aufzubereiten und intra corpore vorzugehen würde unsere Chancen zwar erhöhen, aber dennoch nur eine mimimale Wahrscheinlichkeit mit sich bringen. Extra corpore scheint mir aber ein großer Eingriff in einen Bereich zu sein, der uns als Menschen nicht zusteht. Täusche ich mich da?

In der Bibel finden sich viele Frauen, die unter ihrer Kinderlosigkeit sehr leiden. Auch wenn sich die Gesellschaft verändert hat, ist es doch so, dass man als ungewollt kinderloses Paar zu einer Minderheit gehört, die in vielen Bereichen ausgeschlossen bleibt. Ich leider sehr darunter zu sehen, wie mein ehemaliger Freundeskreis ausgedünnt wird, weil nun Kinder im Vordergrund stehen und/oder unsere Krise abschreckt.
Einige Geschichten in der Bibel lösen sich auf durch gebärfreudige Mägde. Wäre Samenspende das heutige Pendant dazu? Oder eben medizinische Hilfe (auch In-vitro)? Letztlich ist auch hier keine Garantie gegeben und auch das kann als Gottes Wille betrachtet werden.
Andere biblische Frauen bekommen in hohem Alter noch ein eigenes Kind...
Ich kenne keine Geschichte, bei der das Leiden bleibt. Aber ich weiß nicht, wie ich das für mich verstehen soll.

Desweiteren denke ich, dass man kein Recht auf ein Kind hat - aber alle von mir genannten Möglichkeiten lassen ja das "Scheitern" offen. Kann ich sie daher auch alle nutzen?
Es fällt mir schwer, klar auseinander zu halten, wie sehr der Kinderwunsch zu einer Sache der Kontrolle über die eigenen Lebenspläne und das Funktionieren des eigenen Körpers wird bzw. welche Motive tatsächlich bei meinen Handlungen im Vordergrund stehen. Wäre es beispielsweise nicht auch dem Kind gegenüber unfair eine Samenspende zu nutzen und ihm so den leiblichen Vater für viele Jahre zu nehmen, nur weil ich eben ein Kind möchte?
Wir haben auch lange über Adoption nachgedacht. Abgesehen davon, dass es hier Altersgrenzen gibt, sind wir uns nicht sicher, ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind und ob wir mit den damit vermutlich einhergehenden Problemen umgehen können.
Was ist das Kriterium für die richtige Entscheidung?

Liebe Rosi,

Ihre Verzweiflung, keine Kinder zu bekommen, kann ich gut verstehen. Seien es Ihre persönlichen Wünsche und Pläne, sei es der Druck, den Sie von anderen spüren, all das tut weh und macht das Gefühl, irgendwie unzureichend zu sein und tief enttäuscht. Sie haben ja schon selbst beschrieben, dass die Bibel die Kinderlosigkeit in der Regel auch als Unglück beschreibt. Nun mag man sich damit trösten, dass vor 2000 Jahren Kinderlosigkeit auch noch ein soziales Problem darstellte, weil eine Altersvorsorge fehlte, aber es ging und geht freilich weit darüber hinaus, auch schon in den biblischen Geschichten. Sie haben auch Recht damit, wenn Sie schreiben, dass die Geschichten von Sarah, Rebekka, Rahel oder Elisabeth allesamt damit endeten, dass sie schließlich doch Kinder bekamen. Nun fragen Sie, was das Kriterium sein könnte, nach dem Sie weiter vorgehen. Wenn wir auf der biblischen Ebene bleiben, fällt auf, dass die Protagonisten dort so ziemlich nichts unversucht gelassen haben. Das beschreiben Sie ja auch schon. Nun lassen sich diese Versuche nicht ohne weiteres eins zu eins übertragen, aber ich halte keine Methode der künstlichen Befruchtung, die uns heute zur Verfügung steht, für einen Eingriff in die Schöpfung. Wir sprechen ja hier nicht über "designte" Babys, sondern lediglich darüber, dass die Befruchtung auf anderem Wege stattfindet.

Sie scheinen sich gute Gedanken zu machen über das, was Sie tun, und Sie haben dabei stets die Möglichkeit im Blick, dass es vielleicht doch nicht klappt mit Ihrem großen Wunsch. Vielleicht wäre ein guter Weg für Sie, zunächst wirklich zu akzeptieren, dass Sie keine Kinder bekommen werden. Von dieser Haltung aus könnten Sie und Ihr Mann noch einmal überlegen, welche weiteren Schritte Sie bereit wären zu gehen. Auf diese Weise könnten Sie sich ein wenig den Druck nehmen, und Sie könnten diskutieren, was Sie beide bereit wären zu tun. Das ist für mich eine der Lehren aus der Geschichte von Sarah und Abraham: Sie hatten sich damit abgefunden, dass sie kinderlos bleiben würden. Sarah lacht, als ein Engel sagt, sie würde schwanger werden. Es geht mir nicht um das Wunder, sondern darum, dass es ein sehr, sehr unverhofftes Geschenk für die beiden war.

Und ich möchte Ihnen gern sagen, dass einer kinderlosen Ehe durchaus dasselbe Potenzial zum Glück innewohnt wie einer Ehe mit Kindern. Sie haben Recht: Freundschaften können deswegen verblassen. Doch können sich andere Freundschaften ergeben. Der wohl berühmteste Kinderlose der Bibel ist Jesus von Nazareth selbst. Er zeigt auf die, die um ihn sitzen und sagt: "Das ist meine Familie!"

Mein Wunsch für Sie ist: Versuchen Sie vor allem, glücklich zu werden. Was immer Sie unternehmen möchten, um noch Kinder zu bekommen: Entscheiden Sie es gemeinsam, und wenn Ihre Bedenken die eine oder die andere Methode ausschießen, gehen Sie diesen Weg nicht. Und wenn Sie etwas versuchen, schauen Sie nicht auf Wahrscheinlichkeiten. Lachen Sie lieber, wenn es tatsächlich klappen sollte.

Meine herzlichsten Grüße!

Frank Muchlinsky

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