Wie kann ich mir selbst verzeihen lernen?

Nicola
verschwommene Hand vor Himmel mit Fallschirm dahinter
© Le Tan/Unsplash

Lieber Herr Muchlinsky,

Schon seit einiger Zeit schon beschäftigt mich folgende Frage: Wie kann ich mir selbst verzeihen lernen?
Aus biblischer Sicht betrachtet weiß ich, dass Gott mir bereits vergeben hat, für unsere Sünden gestorben ist und all unser Leid für uns auf sich genommen hat.

Trotzdem macht dieses Wissen mich nicht ruhiger, da meine Fehler noch immer schwer auf mir lasten, mich immer wieder im Alltag einholen und unumkehrbar sind, auch hinsichtlich der damit verbundenen Verletzungen und Enttäuschung anderer. Mittlerweile habe ich meinen Mann und damit meine zweite Hälfte gefunden und bin mit ihm so glücklich wie ich es mir nur erträumen konnte. Ich weiß, dass ich nun auf dem richtigen Weg bin und schaue voller Hoffnung, Träume und Pläne in die Zukunft. Trotzdem konnte ich bis jetzt leider noch nicht meinen Frieden mit mir selbst schließen hinsichtlich meines Handelns in der Vergangenheit. Daher möchte ich Sie um Ihre persönliche Stellungnahme bitten, wie ich lernen kann, Frieden mit diesem Teil in mir selbst zu schließen, der für mich mit so viel Scham, Traurigkeit und Enttäuschung von mir selbst verbunden ist.

Ich würde mich sehr über Ihre Antwort freuen!
Schon im Voraus möchte ich Ihnen herzlich danken.

Liebe Nicola,

Ihre Not kann ich gut verstehen. Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als sich selbst die Schuld zu vergeben. Man lebt und eines Tages wird einem klar, dass man Sachen getan oder unterlassen hat, die heftig schlimme Auswirkungen hatten. Häufig hat man schon früh eine Ahnung davon, dass man etwas Falsches tut, doch in dem Moment selbst gelten die möglichen Konsequenzen nichts. Man lebt den Moment, und in dem erscheint es einem (beinahe) richtig. Da Bewusstsein, anderen Menschen etwas angetan zu haben, kommt in der Regel erst später. Dann entstehen Scham, Trauer und häufig Entsetzen über das eigene Tun. Sie beschreiben, dass es Ihnen derzeit gut geht, dass Sie fröhlich und optimistisch sein können. Solche Gefühle können die Scham über das, was Sie als Schuld empfinden, noch sehr verstärken, wenn Sie Ihr Glück sozusagen als "unverdient" betrachten.

Nun haben Sie sich mit Ihrer Frage nicht an einen Psychologen gewandt, sondern an mich, einen Pfarrer. Darum will ich Ihnen auch gern schreiben, was ich aus dieser Perspektive über Ihre Situation denke. Der Umgang mit der eigenen Schuld ist schließlich ein ausgesprochen christliches und auch evangelisches Thema. Sie deuten das ja selbst an, wenn Sie schreiben, dass Sie wissen, dass Gott Ihnen "bereits vergeben hat, für unsere Sünden gestorben ist und all unser Leid für uns auf sich genommen hat." Als ich Ihre Worte las, klangen diese Worte in meinen Ohren formelhaft und leer. Es ist, als würden Sie etwas aufschreiben, von dem Sie gehört haben, und das Sie nun wiedergeben. Vielleicht liegt genau dort der Grund, warum Sie sich nicht selbst verzeihen können, weil Sie die Vergebung, die Gott uns verspricht, eher "wissen", als dass Sie sie "merken" würden. Unser schlechtes Gewissen kann uns extrem schlimm peinigen. Dann reicht es nicht aus, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Gott uns bereits vergeben hat. Das ist ein wenig so, als würden Sie einem Menschen, der sich vor etwas sehr fürchtet, immer wieder sagen: "Hab doch keine Angst!" Das sind nette Worte, aber wenn man einem Menschen wirklich die Angst lindern möchte, dann sollte man ihn in die Arme nehmen oder auf andere Art spüren lassen, dass man ihm Geborgenheit und Schutz gibt.

Das ist der Grund dafür, dass die Kirche nicht nur von der Vergebung redet, sondern auch Formen entwickelt hat, die Vergebung erfahrbar zu machen. Wer sich selbst vergeben möchte, braucht in den meisten Fällen die Erfahrung, dass ihm oder ihr vergeben wird. Ich meine Formen wie Seelsorge, Beichte und den Buß- und Bettag. Es geht darum, dass man die belastenden Dinge, die eigene Schuld offen vor Gott bringen kann und sich dann von jemandem von dieser Schuld lossprechen lässt. So kann man am ehesten mit der eigenen Schuld leben lernen, ohne, dass sie einen weiter verfolgt. Auch der Karfreitag ist ein guter Tag, sich mit anderen zum Gottesdienst zu treffen und zu erkennen, dass wir alle Vergebung nötig haben.

Als nächstes können Sie dann eventuell um Vergebung bei denen bitten, denen Sie etwas angetan haben. Das ist aber manchmal gar nicht mehr möglich, und darum braucht es diese Lossprechung erst recht. Suchen Sie am besten ein direktes Gespräch mit einem Pfarrer oder einer Pfarrerin. In solch einem Gespräch können Sie offen über das reden, was Sie bedrückt. Allein das hilft oft schon sehr viel.

Ich wünsche Ihnen einen guten Neuanfang!

Ihr Frank Muchlinsky

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