Lieber Frank Muchlinsky,
ich war die letzte Woche als Mitarbeiterin auf einer Teenie-Freizeit des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden.
Wie man es sich bei Pfingstlern vielleicht schon denken kann, waren der Heilige Geist und seine Gaben sehr wichtig. Ich komme aus der Landeskirche und bin bei der Freizeit das erste Mal mit all dem in Berührung gekommen.
Einerseits klingt es super, vom Heiligen Geist ausgefüllt zu werden und in Zungen reden zu können. Auf der anderen Seite wundere ich mich warum der Heilige Geist in der evangelischen Kirche so gut wie keine Beachtung findet und frage mich wie denn all das in der evangelischen Kirche verstanden wird.
Ich freue mich über eine Antwort und wünsche Ihnen Gottes Segen
Sara
Liebe Sara,
da haben Sie bei dieser Freizeit eine wichtige Erfahrung gemacht! Und völlig klar, dass Ihnen auffällt, dass die Pfingstkirchlichen Christen da ganz andere "Schätze" zu haben scheinen, als Sie es aus der Landeskirche kennen. Und Sie fragen sich zurecht, wo denn in den landeskirchlichen Gemeinden der Heilige Geist geblieben ist! Ob wir ihn "verbannt" haben?
Ich wage mal eine steile Behauptung: Ich schreibe Ihnen, der Heilige Geist ist da - es ist die Frage, wie wir diesen Geist nennen. Ja, ich wage zu behaupten, gerade weil er da ist, wo er sein will, ist er noch an ganz anderen Orten, wo wir ihn kaum vermuten. Es gibt so ein wenig die Tendenz unter den Menschen, denen diese Frage wichtig ist, die Anwesenheit des Geistes für sich in Besitz zu nehmen und auch ein wenig auf die Waage zu legen, nach dem Motto: Mehr Geist - mehr Glaube!?
Wir spüren ihn besonders, diesen Geist, wenn in Menschen etwas vorgeht, das sie verändert. Der Heilige Geist ist die Kraft, die Menschen wieder Hoffnung gab, diese Hoffnung als neuen Atem den Freundinnen und Freunden von Jesus einhauchte in den Tagen nach der Kreuzigung, als sie glauben mussten, dass alles verloren ist. Als sie beisammen saßen und erzählten spürten sie, wie ein neuer Geist in ihnen wach wurde. Alles, was Jesus ihnen von der Gemeinschaft untereinander erzählt hatte, erfüllte sie endlich wieder. Das war er, der neue Geist, den sie so nötig gebraucht hatten. „Sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist“, heißt es in der Bibel (Apostelgeschichte 2,4).
Vielleicht könnte man den Geist als "Transportmittel" betrachten, mit dem wir Kraft, Ideen und auch den Glauben neu spüren können. "Heilig" heißt er, weil er von Gott kommt, zu Gott gehört. Und so unterscheiden wir ihn auch von anderen "Geistern" - das ist wichtig. Wir können um den Heiligen Geist bitten - aber er lässt sich nicht in Besitz nehmen, nicht zwingen und nicht festhalten. "Der Geist weht, wo er will", so steht es im Johannesevangelium (Kapitel 3,8). Der Heilige Geist ist das, was uns verbindet - mit Gott und untereinander als Christinnen und Christen. Ohne dass der Heilige Geist wirkt, wären Menschen nicht seit zweitausend Jahren zusammengekommen, um die Bibel zu lesen und Gottes Wort zu hören und zu beten. So stellt dieser wunderbare Geist also Beziehungen her, so knüpft er ein Netz zwischen allem.
Im Juni werden sich Viele wieder zum Kirchentag versammeln - ich finde, das ist auf jeden Fall ein Ort, an dem man den Geist Gottes sehr gut spüren kann. Oder vielleicht kennen Sie die Gemeinschaft von Taizé, liebe Sara? Besonders da, wo Menschen aus vielen Nationen zusammenkommen und gemeinsam beten und singen, da meint man den Geist besonders zu spüren. Es ist ja schließlich, als ob wir neben unseren Landessprachen noch eine andere, gemeinsame Sprache sprechen. Aber es muss gar nicht immer eine so große Erfahrung sein. In jedem Menschen, der sich durch ein Gebet oder ein Lied getröstet und gestärkt fühlt, dem ein Bibelwort am Grab seines Angehörigen Halt gibt oder der aus Freude über ein neugeborenes Kind ein Dankgebet spricht - und in jeder Gemeinde, die zum Gottesdienst zusammenkommt - ist der Geist am Wirken.
Unsere Schwestern und Brüder in den Pfingstgemeinden haben an einigen Stellen andere Traditionen als in den landeskirchlichen Gemeinden. Ihr Glaubensleben betont das Wirken des Heiligen Geistes sehr stark. Manche suchen begeisternde Erlebnisse und Zustände, in denen sie in besondere Schwingungen geraten, um das Wirken des Heiligen Geistes stärker zu erleben. Dann scheint es manchmal, als ob auf einmal Wunder passieren können. Schön finde ich persönlich daran, dass damit klar wird: Unser Weg zu Gott ist nicht eindimensional. Wir brauchen nicht immer mit gesenktem Kopf betend in der Kirchenbank stehen - nein, wir können auch sehr emotional werden, um mit Gott in Kontakt zu kommen. Ich würde aber nie so weit gehen und sagen, in den Landeskirchen glaubt man nicht mehr an Wunder und der Heilige Geist ist ausgesperrt. Ich denke, wir vertrauen eher den leisen Wundern, den alltäglichen. Denen, die auch Menschen widerfahren, die nicht aus sich herausgehen können oder wollen.
Ich wünsche Ihnen Ihre eigenen Erfahrungen mit dem wunderbaren Heiligen Geist, liebe Sara. Vielleicht dient Ihre Erfahrung ja dazu, um in Ihrer Gemeinde zu Hause dem Geist neue Wege zu bahnen?
Herzliche Grüße
Veronika Ullmann