Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
folgende Frage bewegt mich zur Zeit immer wieder:
Wir werden in unserem Glauben immer wieder angehalten, den Armen etwas zu geben.
Doch wie weit soll das gehen? Wenn ich dem einen etwas gebe, wäre es da nicht ungerecht, der anderen nichts zu geben?
Außerdem weiß ich nicht, was mit dem Geld, was ich gebe, geschieht; immerhin möchte man eine mögliche Sucht nicht noch unterstützen.
Haben Sie einen Rat?
(Der Text ist geschlechtsunspezifisch zu verstehen und mir ist bewusst, dass nicht jede(r) Obdachlose/Bettler(in) an einer Sucht leidet.)
Vielen Dank im Voraus!
Ich schaue immer wieder gerne hier rein und finde immer wieder neue Erkenntnisse durch die gestellten Fragen und vor allem Ihre Antworten.
Mit freundlichem Gruß
Anonym
Liebe*r Anonym,
ich kann Ihre Frage gut nachvollziehen. Wer anderen etwas gibt, um zu helfen, möchte, dass diese Gabe auch tatsächlich hilft. Wir begegnen auf unseren Straßen immer wieder Menschen, die in Not sind, und wir fragen uns: Wie helfen wir nun am besten?
Ich finde, die beste Antwort auf die Frage, wie man hilft, hat Jesus gegeben im Gleichnis vom "barmherzigen Samariter" (Lukas 10,25-37). Wenn man hier gründlich liest, fällt Folgendes auf: Der Mensch, dem da geholfen wird, wird nicht näher beschrieben. Das heißt, es geht nicht darum, wer er ist, bis zu dem Moment, als er Hilfe benötigt. Und dann kommt dieser Mensch aus Samarien und es heißt "als er ihn sah, jammerte es ihn." (Luk 10,33). Das heißt, er hilft spontan, weil sein Mitgefühl ihn das tun lässt. Er sieht den Menschen, der leidet, und er hilft. Dann können wir lesen, dass er ihn verbindet, in eine Herberge bringt und ihn dort eine Nacht lang pflegt (Luk 10, 34). Er tut das Gute also mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen: Öl, Wein, Reittier, Pflege für eine Nacht. Am nächsten morgen ist der Überfallene noch nicht wieder gesund, aber der Samariter zieht weiter. Er gibt dem Wirt Geld für die weitere Pflege und verspricht wiederzukommen und noch mehr zu zahlen, wenn es nötig sein sollte (Lukas 10,35). Er delegiert also die Hilfe, als er selbst weiterziehen muss.
Man könnte sehr skeptisch werden und fragen: Wird sich der Wirt des Gasthauses tatsächlich um den Kranken kümmern? Er könnte das Geld einfach behalten und den Kranken vor die Tür setzen. Man könnte ebenso skeptisch fragen: Wird der Samariter tatsächlich wiederkommen? Was, wenn der Wirt auf seinen Mehrkosten sitzenbleibt? Hat der Samariter mit seiner ersten Hilfe alles richtig gemacht? Sicher, Wein und Öl wirken antiseptisch, aber vielleicht waren seine "medizinischen" Maßnahmen eher falsch?
Zum Glück stellen wir diese Fragen nicht sofort, wenn wir die Geschichte lesen. Wir lesen und stellen fest: Die Hauptsache ist: Da kam einer, der half. Er kümmerte sich. Im Alltag sind wir allerdings ausgesprochen skeptisch. Ist der Bettler da wirklich so krank, wie er aussieht? Gehört er vielleicht einer Art Bettlermafia an? Finanziere ich vielleicht seine Drogensucht? Brauchen nicht andere meine Hilfe dringender? All das hat der Mensch aus Samarien nicht getan. Es hätte durchaus sein können, dass der Zusammengeschlagene dort als Köder lag, um noch weitere Menschen auszurauben. Es kann sein, dass der Zusammengeschlagene ein widerlicher Verbrecher war. Der Samariter hilft aber, "weil es ihn jammert". Er fragt nichts.
Wie also reagieren, wenn uns etwas "jammert"? Helfen! Spontan und ohne zu fragen. Geld hilft. Das ist so einfach wie richtig. Und wenn jemand Drogen von meinem Geld kauft, dann braucht er diese Drogen anscheinend gerade. Wenn mich die Sucht jammert, dann spende ich für Drogenhilfe-Projekte. Wenn mich das Schicksal von Flüchtlingen jammert, dann spende ich für Organisationen, die entsprechend helfen: In den Ländern, in denen Menschen es nicht mehr aushalten, in den Ländern, durch die sie hindurchmüssen, für Seenotrettung, für Hilfe hier in Deutschland.
Und wenn Sie nicht wissen, wo Ihre Spende am besten hilft, dann spenden Sie an große Organisationen wie die Diakonie. Die wissen, wo es am nötigsten ist, und sie sorgen dafür, dass nicht alles nur an einer Stelle landet.
Also, geben Sie, wo es sie jammert. Geben Sie der Skepsis keinen Raum, sondern dem Mitleid.
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky