Sehr geehrte Damen und Herren,
ich arbeite als ev. Christ in leitender Position bei einem katholischen Träger, war nur standesamtlich verheiratet und bin geschieden. Nun möchte ich wieder heiraten. Wenn ich dies tue, dann erhalte ich von meinem katholischen Arbeitgeber die Kündigung, weil ich gegen die katholische Grundordnung verstoße. Um dem zu entgehen, habe ich bei der katholischen Kirche eine sog. Eheannullierung beantragt. Das widersinnige an dem ganzen Verfahren ist, das ein geschiedener Katholik, der nicht kirchlich geheiratet hat, die Ehe sofort wegen des Formfehlers annulliert bekommt. Bei ev. Christen wird aber unterstellt, das man mit der standesamtlichen Trauung zugleich eine kirchliche Ehe (vor Gott) abgeschlossen hat. Diese rein fiktive bzw. willkürliche Unterstellung mag zwar noch im Sinne der Ökumene sein, ist aber in der Folge diskriminierend und verstößt damit meines Erachtens gegen den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes (Gleichheitsgrundsatz). Zudem ergeben sich aus dieser unterschiedlichen Behandlung ganz erhebliche materielle bzw. finanzielle (steuerliche) Nachteile / Schäden.
Meine Fragen:
Ist dieses katholische Ansicht theologisch überhaupt haltbar, wenn man auch als ev. Christ bewusst auf ein kirchliches Eheversprechen verzichtet hat?
Michael Hanke
Lieber Herr Hanke,
Ihre Situation betrifft das katholische Kirchenrecht. Ich habe mich darum für die Beantwortung an einen katholischen Kirchenrechtler gewandt. Folgendes hat er mir geschrieben:
Klaus Kottmann wrote: Die Kirchen haben das im Grundgesetz verbriefte Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln (Art 140 GG iV.m. Art 137 WRV). Da das Ergebnis des kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahrens nur innerkirchliche Rechtsfolgen zeitigt, den Staat das gar nicht interessiert, handelt es sich um eine innerkirchliche Angelegenheit.Die kath. Kirche kann, aus demselben Grund, nur katholische Christen verpflichten, sich hinsichtlich ihrer Eheschließung an eine bestimmte Form (=.kath. Trauung) zu halten. Für alle anderen ist sie nicht zuständig. Deswegen heiratet ein kath. Christ, der ausschließlich zivil heiratet, auf dem Standesamt formal kirchlich ungültig, was leicht festzustellen ist. Da nach evangelischem Kirchenrecht aber eine gültige Ehe auf dem Standesamt geschlossen wird, die ggf. noch in der Kirche gesegnet werden kann, was aber dann - anders als in der kath. Kirche - kein die Ehe konstitutierender Akt ist, muss die kath, Kirche eine auf dem Standesamt geschlossene Ehe als gültig geschlossene Ehe betrachten. Das ist im konkreten Fall zwar misslich, schlimmer aber wäre es, wenn die kath. Kirche den Standpunkt vertreten würde, dass alle Ehen, die nicht katholisch-kirchlich geschlossen sind, keine gültigen Ehen seien.
Jedem Eheschließenden, egal welcher Konfession oder Religion, wird von der kath. Kirche unterstellt, dass er mit seinem Ja zur Ehe eine lebenslange, exklusive und auf Kinder hin orientierte Ehe will, dass beider Partner von ihrer Persönlichkeit her in der Lage (reif genug) sind, ein solches Versprechen auch verbindlich abzugeben, und sie eine Ehe partnerschaftlich führen können. Wenn man das unterstellt, muss die Möglichkeit des Nachweises des Gegenteils gegeben sein. Das geschieht über das kirchliche Ehenichtigkeitsverfahren. Könnte ein ev. Christ ein solches Verfahren nicht führen, wäre das den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen. Die Möglichkeit ist aber jedem gegeben, insofern der durch den Konsens zustande kommende Ehevertrag als göttliches Recht (Schöpfungsordnung) begriffen wird.
Wer aber etwa bei der zivilen Trauung die Sakramentalität der Ehe ausgeschlossen hat, erfüllt ggf. den Tatbestand der Simulation.
Auf Nachfrage hat Herr Kottmann mir noch geschrieben, dass Ihnen wohl nur die Möglichkeit bleibt, sich dem kirchlichen Verfahren auszusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Muchlinsky