Die flexible Anpassungsfähigkeit von kirchlichen Mitarbeitern/innen soll permanent trainiert werden. In Fortbildungen wird uns eingetrichtert, dass das völlig okay ist! Der Aufhänger dafür sind die sogenannten Zielgespräche des Vorgesetzten mit dem Mitarbeiter. Dieses zielgerichtete Gespräch beginnt bei der Definition des eigentlichen Problems. Man muss nur lange genug unter der Mütze suchen, dann findet man auch ein Problem. Denn: Das Problem = das Ziel. Mir fällt auf, dass die Flexibilisierung behutsam geschieht. Kaum bemerkbar schleicht sie sich leise auf den Zehenspitzen in mein Leben. Bei mir zu Hause steht z. B. seit einiger Zeit ein Fax-Gerät von meinem kirchlichen Arbeitgeber, damit ich kontinuierlich, pausenlos, rund um die Uhr erreichbar bin. Das Prinzip ist relativ einfach zu durchschauen, denn die Flexibilisierung wird erreicht durch die Reduzierung fester Regeln und durch die Reduzierung festgefügter Strukturen.
Der Prozess der Flexibilisierung innerhalb der Kirche geht dabei mit der Verflachung von Hierarchien und der Propagierung von Teamarbeit einher. Ein Mitarbeiter, der besser ohne Team arbeitet, wird mit Argusaugen beäugt. So nach dem Motto "mit dem stimmt was nicht!" ZIELE sind unter anderem die bessere Reaktionsfähigkeit auf die Auftragslage und die Steigerung der Produktivität der Mitarbeiter. Die Arbeitnehmer sollen - im Verhältnis zu der Kapitalseite - zu allem Übel noch stärker an den unternehmerischen, kirchlichen Risiken beteiligt werden, indem eine konjunktur- oder auftragsbedingte Verringerung der Rendite durch eine Verringerung der Arbeitskosten kompensiert wird. Dabei sollen auch die neu eingeführten Arbeitszeitkonten die üblichen Überstunden ersetzen und die Zuschläge sollen abgeschafft werden Und und und...So sieht`s derzeit der kirchliche Zielplan vor. Flexibilisierung, bergen aber im Sinne einer ständigen Erreichbarkeit Risiken einer völligen Effizienzorientierung und Entgrenzung von privatem und berufsbezogenem Bereich. Ohne fest definierte Grenzen zu leben bedeutet aber auch, die Orientierung und den Halt zu verlieren. Mich beschäftigt folgende Frage: Wird die Kirche distanzlos???
Lieber Gast,
es antwortet Ihnen Renate Fallbrüg, Pastorin im Kirchen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Nordkirche. Ich danke der Kollegin herzlich!
Frank Muchlinsky
Sehr geehrter "Gast",
Ihr Eindruck, dass sich der kirchliche Berufsalltag in den vergangenen Jahren verändert hat trügt nicht. Begriffe wie „Flexibilität“, „Kompetenzprofil“ oder „Professionalisierung“ sind auch Teil der kirchlichen Berufswelt geworden. Jahresgespräche, Zielvereinbarungen und Arbeit im Team ergänzen dies. Auch Kirche, vor allem in den diakonischen Bereichen, erlebt sich als Teil eines Marktwettbewerbes. Wer die Wahl hat zwischen zwei Kindertageseinrichtungen wird die Wählen, in der er sich mehr für das eigene Kind verspricht. Qualitätszertifizierungen sind Instrumente, die dieses Mehr nach außen sichtbar machen sollen. In der Kirche arbeiten wir weitgehend von Mensch zu Mensch, so dass Veränderungen bei den Menschen, in diesem Fall den kirchlichen Mitarbeiter/innen (inklusive Pastor/innen und ehrenamtlich Tätige), ansetzt. Wo kein Geld für mehr Arbeitskräfte da ist, müssen die, die da sind, so gut als möglich zusammenarbeiten. Dies führt unweigerlich zu Konflikten.
In diesen Prozessen, auch hier trügt Sie der Eindruck nicht, geht es auch um Geld.
Der Eindruck, der entsteht ist, dass Kirche ja gar nicht so anders ist als ein „normales“ Wirtschaftsunternehmen. Das stimmt nur partiell. Die Spannung zwischen dem christlichen Anspruch, dem wir uns verpflichtet fühlen und den Realitäten der Zeit treffen hier sehr deutlich aufeinander und führen zu Ärger und Unverständnis. Auf der einen Seite „predigen wir“ den freien Sonntag und die Notwendigkeit von Ruhe, um der gesellschaftlichen Entgrenzung etwas entgegenzusetzen. Zugleich sind wir wie alle anderen auch ein Teil der Gesellschaft, in der Smartphones ebenso Realität sind, wie die mangelnde monetäre Wertschätzung der sozialen Arbeit. Solange Kirche Teil dieser Welt ist, wird diese Spannung bleiben.
Auf zwei Aspekte Ihrer Anfrage möchte ich jedoch noch näher eingehen. Sie schreiben davon, dass Ihr Vorgesetzter Erreichbarkeit und auch den Anschluss eines Faxgerätes voraussetzt. Kirche ist auch insofern Teil dieser Welt, als wir über ein Mitarbeitervertretungsrecht verfügen, das in solchen Fragen eine Mitspracheregelung durch die MAV vorsieht.
Was Sie beschreiben macht jedoch deutlich, dass es neben offiziell vereinbarten Anforderungen immer auch ungeschrieben psychologische Verträge gibt, die weniger von „der Kirche“ als von konkreten Führungspersonen als Kultur in den Arbeitsbereich oder die Abteilung eingebracht werden.
Und auch dies ist Teil der gegenwärtigen Realität, dass jeder und jede für sich herausfinden muss, wo er oder sie die eigenen Grenzen zieht. Coaching gehört auch in diese Zeit. Ein Coaching könnte Sie darin unterstützen, die ungeschriebenen psychologischen Verträge ihrer Leitung zu verstehen und darauf angemessen zu reagieren. Auch Sie haben Ziele und Interessen, die Sie in ein Jahresgespräch einbringen können.
Renate Fallbrügg