Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
in den Evangelien wird mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß Jesus eigentlich zu den Juden gesandt wurde. Seine Erlösungstat am Kreuz gilt aber allen Menschen.
Es gibt viele Begegnungen, die er mit verschiedenen Heiden hatte, deren Glaube ihn offenbar sehr beeindruckte und verwunderte.
Man könnte zu dem Schluß kommen, daß Gott, der seinen Sohn ja ursprünglich zu den Heiden sandte, seinen Plan mit den Menschen geändert hat - wie eine Fahrplanänderung. Wiederum sollte Gottes Sohn, der ja auch eine Person Gottes und Mitschöpfer der Menschen ist, dies nicht alles im Voraus gewußt haben?
Wie ist dies denn nun genau zu verstehen?
Lieber Thomas,
Für wen Jesus Christus in die Welt kam, darüber gab es nicht immer einen Konsens unter den Christen. Das junge Christentum stritt lange darüber, ob man nicht erst Jude sein müsse, bevor man Christ sein könne. Entsprechende Texte gibt es auch im Neuen Testament. Man kann diesen Texten entnehmen, dass es in der Tat so etwas wie eine "Fahrplanänderung " gab, an deren Ende sich das Fahrtziel durchsetzte: Jesus kam für alle Menschen, egal ob Mann, Frau, Jude oder Heide (vergleiche Gal 3,28).
Die Geschichten, die über Jesus in diesem Zusammenhang erzählt werden, spiegeln diese Entwicklung ebenfalls weiter: Jesus selbst – so diese Geschichten – hat sich den Heiden zugewandt. Sei es ein römischer Hauptmann (Mt 8) oder die Frau aus Syrophönizien (Mk 7) – all diese Geschichten machen deutlich, dass Jesus seine (Heils)tätigkeit ausweitet. Im Fall der Syrophönizierin sogar auf deren direkte Bitte hin. Er besinnt sich eines Besseren.
Da wir glauben, dass Jesus Christus wahrer Gott UND wahrer Mensch ist, kann man sich durchaus vorstellen, dass der Mensch Jesus von Nazareth sich im Laufe seines Wirkens auch gewandelt hat. Schließlich hat er vor seiner Verhaftung auch Angst gehabt. Wäre er "nur" wahrer Gott gewesen, wäre das sicherlich auch nicht vorgekommen.
Mit herzlichem Gruß
Frank Muchlinsky