Ich bin bei G.W.F Hegel auf eine Stelle gestoßen in der der bekannte Spruch: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", als: "Liebe deinen Nächsten ALS dich selbst", aufgefasst wird. Es wird explizit unterschieden zwischen "so sehr wie dich selbst" und " als den der du bist".
Die Feindschaft wird dadurch so überwunden, dass der Liebende den Anderen,, den Geliebten als sich selbst erkennt und so jede Entzweiung aufgehoben wird. Meine Frage ist nun, ob es bei der Übersetzung aus dem griechischen Text die Möglichkeit gibt das wie nicht als "so sehr", sondern als "als" zu übersetzen.
Vielen Dank,
Alex
Liebe/r Alex,
Hegel hat in gewisser Hinsicht durchaus Recht. Zwar lautet die Aussage Jesu im Neuen Testament auf Griechisch Du sollst deinen Nächsten lieben "hos seauton" (Mt 22,29), was wörtlich übersetzt heißt: "in der Weise (so) wie dich selbst". Doch zitiert Jesus in dieser Textpassage ja einen Text aus dem Buch Leviticus (Lev 19,18) im Alten Testament, das auf Hebräisch verfasst ist. Dort steht :"Kamocha", und das ist hier sinnvollerweise als attributive Bestimmung zum "Nächsten" zu verstehen und nicht als eine adverbiale Bestimmung zum "lieben" zu verstehen. Auf Deutsch: Das Wort: "Kamocha" bestimmt den Nächsten, nicht das lieben. Man könnte darum übersetzen: "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du."
Da Jesus hier das hebräische Wort zitiert, kann man also auch annehmen, dass er eher sagen wollte: "Liebe deinen Nächsten, er ist wie Du" und nicht "Liebe deinen Nächsten so (sehr) wie dich selbst". Wenn Sie es genau wissen möchten, empfehle ich Ihnen die Lektüre von Andreas Schüle, „Denn er ist wie du“. Übersetzung und Verständnis des alttestamentlichen Liebesgebots Lev 19,18: Zeitschrift für Alttestamentliche Wissenschaft (ZAW) 113 (2001), 515-535.
Auch durch die rabbinische (also jüdische) Auslegung ist dieses Verständnis von Lev 19,18 bereits belegt. Hegel hat ist hier also in guter Gesellschaft mit seiner Weise der Übersetzung des Gebotes der Nächstenliebe.
Herzlichen Dank für die Frage und ebenso herzlichen Gruß!
Frank Muchlinsky