Hallo, ich studiere im 6. Semester Theologie für gymnasiales Lehramt und habe darum auch schon einige Praktika absolviert. In manchen Unterrichtsstunden kam dann die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel auf. Gerade bei dem Thema Wundergeschichten kommt häufig von Schüler Seite die Frage "Ist das denn wirklich passiert?". Nun, im Studium wurde mir vermittelt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Wunder wirklich geschehen sind, sondern mehr was sie aussage- nämlich dass wir hoffen dürfen. Auf der einen Seite kann ich das unterschreiben. Andererseits spricht das doch auch ein wenig den Status Jesus als Gottes allmächtigen Sohn ab. Was macht dann Jesus denn noch besonders? Ja, er war wohl ein sehr guter Redner und hat sich den Menschen angenommen- solche Leute gibt es aber auch heute noch. Ich weiß leider einfach nicht, was ich meinen Schülern später einmal antworten soll, da ich momentan selber nicht weiß woran ich glauben möchte. Mir scheint es, als ob versucht wird alles rational zu erklären, nach dem Motto: wir wissen, dass Menschen nicht über Wasser gehen können, also wurde dieses Wunder wohl aus Propagandazwecken erfunden... Aber persönlich glaube ich eigentlich schon, dass Gott dies möglich machen könnte- denn wenn nicht, warum sollte man dann überhaupt noch glauben? Eigentlich habe ich mich in meinem Glauben bisher immer recht sicher gefühlt, aber im Moment stehen da zu viele Fragezeichen. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu wirr und Sie verstehen vielleicht was ich meine. Viele Grüße, Franzi
Liebe Franziska,
Ihre Frage macht unmissverständlich, wie ernst es Ihnen mit den Fragen nach einem angemessenen christlichen Wirklichkeitsverständnis und zugleich akademischer Redlichkeit ist. Und das ist gut so! Bewahren Sie sich das unbedingt - denn egal, wo und mit welchen Altersgruppen Sie arbeiten werden, wird es diese Situation immer geben: Dass Sie in Ihrem eigenen christlichen Wirklichkeitsverständnis angefragt werden und selbst ins Nachdenken kommen. Letztlich dient dies dazu, die Theologien diskursfähig zu halten.
Das Thema der Funktion von Wundererzählungen ist dafür natürlich beispielhaft. Zunächst einmal gibt es eine historische Dimension, die hilft, der ursprünglichen Verstehensdimension auf die Spur zu kommen: Im ersten Jahrhundert waren Schilderungen von Wundertätigkeiten von als besonders angesehenen Menschen keineswegs so besonders, wie sie heute auf uns wirken. Wunderschilderungen waren in der Umwelt der neutestamentlichen Schriften ein ganz gängiges Genre. Sie wollten etwas bildlich, figurativ zum Ausdruck bringen, was sich anders nicht in Worte fassen ließ. Und bei den HörerInnen stieß dies auf Resonanz und Plausibilität. Gerade der Zusammenhang medizinischer Erkenntnis und Religiosität war unumstritten.
Wenn wir diese Erzählungen heute hören, tun wir das auch immer mit dem Wissen, dass die (meisten) ersten Christen und Christinnen Jesus nicht "allein" als Wundertäter verehrten, sondern im Bewusstsein seiner Auferstehung von den Toten glaubten und lebten. Von da her - als eine Inkarnation Gottes, der als Mensch allem ausgesetzt war und doch im Tod das Leben als stärker erwies, wird sein Leben gesehen und erzählt. Wunder sind also Verstehenshilfen.
Sie als Ausdruck von Gottes Allmacht zu lesen, legt sich wohl dann nahe, wenn man sagt: Wunder sind etwas, was ich gängigerweise erstmal nicht erwarte. Dem historischen Kontext der Texte entspricht dies aber nur sehr bedingt. Überhaupt stellen sich dann m.E. mehr Fragen als sich Antworten ergeben: Etwa, wie Gottes Allmacht sich zur einer scheinbaren Willkür verhält. Denn Wundergeschichten sind immer exemplarische Erzählungen. Klassischerweise wird auch der Verzicht auf Machtausübung als eine Wirkung von Gottes Allmacht verstanden, i.S.v.: Gott ist so mächtig, dass er darauf verzichten kann, diese Macht durchzusetzen. Wundergeschichten als Erweis von Allmacht zu lesen, würde dann ein positivistisches Missverständnis befördern.
Vielleicht hilft es Ihnen im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern auch, zu überlegen, wie wir heute von Gottes Wirken reden würden, wenn wir sein Handeln mit den Ausdrucksmitteln, die wir gängigerweise für "etwas Besonderes" (mit der jeweiligen Sinnrichtung: im Blick auf Heilung, Integration, Zugehörigkeit, Verbindlichkeit etc.) verwenden, beschreiben würden.
Und ansonsten seien Sie wirklich getrost: Sich im Glauben nicht sicher zu fühlen, dürfte eine Grundbedingung christlicher Existenz sein, die um ihren Wahrheitsanspruch ringt.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Friederike Erichsen-Wendt, Pfrin.