Sehr geehrter Herr Muchlinsky, bei der ganzen Diskussion um das Kirchenasyl ist mir eine Frage gekommen, die meine Pastorin vor Ort leider nicht beantworten konnte: Existiert das Kirchenasyl im "klassischen Sinne" eigentlich noch, d.h. kann sich ein gesuchter Krimineller in der Schutz der Kirche flüchten? Wie würde ein Pfarrer reagieren, wenn plötzlich so jemand um Asyl und Schutz vor der Polizei bitten würde? Wikipedia (keine zuverlässige Quelle, ich weiß), sagt, dass es ein eigenes Asylrecht in den evangelischen Rechtsordnungen niemals gegeben hätte. Wenn das stimmt, hängt das dann damit zusammen, dass die Kirche (als Gebäude) in der ev. Vorstellung nicht als "heiliger Raum" gilt, in dem besondere Regeln gelten? Immerhin war schon in der griechischen Antike der Tempel ein besonderer Ort, in dem Verfolgte (auch wenn sie zurecht verfolgt wurden) Schutz suchen konnten. Vielen Dank für Ihre Antwort!
Liebe "Fragende",
das Phänomen des Asyls ist kein Recht, dass Einzelne gegenüber anderen geltend machen, sondern ein „gesetztes“ Recht vor jeder Rechtsordnung, das Einzelne Anderen gewähren können. Wenn man dieser Argumentation folgt, kann das Asyl als Ausweitung des Gastrechts eingeordnet werden. Die Idee, dass Menschen durch ein Asyl zu einem Recht verholfen wird, das sie selbst nicht durchsetzen können.
Ihr Zitat stimmt insofern, als es derzeit kein kodifiziertes Recht auf kirchliches Asyl gibt und nach evangelischem Verständnis auch nicht geben kann. Asyl ist demnach immer eine Einzelfallentscheidung christlicher Barmherzigkeit und entzieht sich so sachlich notwendig der Instrumentalisierung im politischen Diskurs. Es handelt dabei aber im Umkehrschluss nicht um einen rechtsfreien Raum, sondern um eine Zeichenhandlung, die symbolisiert, auf welchen Grundüberzeugungen einen Gesellschaft fußt, die sie selbst nicht in Regeln abbilden kann.
Beim Asyl handelt es sich insofern um ein „klassisches“ Handeln, als auch gegenwärtig die Vorstellung leitend ist, dass im Raum des Asyls die Profanität aufgehoben ist (weniger: etwas Heiliges „hergestellt“ ist). Nach biblischer Überzeugung darf nicht jedem „Straftäter“ Asyl gewährt werden, sondern eben denjenigen, die unabsichtlich und damit ohne eigenes Verschulden strafverfolgt werden. Vor dem staatlichen Recht genießen Räume der Kirchengemeinden grundsätzlich keinen eigenen Rechtsstatus, sondern sind behördlichem Zugriff in gleicher Weise ausgesetzt wie andere Gebäude. Kirchengemeinden wissen, dass sie mit negativen Folgen staatlichen Rechts rechnen müssen, wenn sie Asyl gewähren.
Zugleich hat sich in das Recht unseres Landes das Wissen darum eingeschrieben, dass viele in unserem Land Verfolgte im 20. Jahrhundert in anderen Ländern Aufnahme gefunden haben. Daraus hat sich die Vorstellung entwickelt, dass Einzelne ihre Grundrechte auch gegenüber dem Staat geltend machen können dürfen. Da sich damit umfassende Gerechtigkeitsfragen stellen, bedarf die Gewährung von Asyl notwendig einer sorgfältigen Einzelfallprüfung, die ggf. eine Entscheidung nach dem Kriterium der Billigkeit erlauben. Dafür haben die Landeskirchen Richtlinien entwickelt, die es Pfarrpersonen und den jeweiligen gemeindeleitenden Gremien erlauben, zu einer gewissenhaften Entscheidung zu gelangen, ob in einem Einzelfall an die Tradition des Asyls angeknüpft werden kann.
Viele Grüße
Friederike Erichsen-Wendt, Pfrin.