Ehekrise und Verdrängung

H.

Guten Tag, Frank Muchlinsky,


vor 1,5 Jahren habe ich zufällig festgestellt, dass meine Frau eine Affäre hat.
Sie hat dann den Kontakt sofort abgebrochen und wir haben so gut wie möglich versucht weiter zu leben mit unseren 4 Kindern.

Ich merke für mich persönlich, dass es mich sehr belastet, weil ich bis heute nicht genau weiß, warum das passieren konnte und möchte mich gern beraten lassen.
Ich fühle mich traumatisiert und habe auch zeitweise körperliche Auswirkungen (schlechter Schlaf, Hoher Herzschlag, Bedrückung).

 

Meine Frau verweigert eine Aufarbeitung jedoch sehr, weil sie sicherlich ebenfalls Ängste vor so einer Beratung hat. Ich habe sie schon mehrmals gebeten, aber sie möchte es einfach verdrängen. Das funktioniert bei mir aber nicht und ich fühle mich von ihr ein zweites Mal emotional verlassen.

Sehen sie eine Chance, ohne eine Beratung?
Was sagt ihre ehrliche Erfahrung dazu?

Mir geht es überhaupt nicht um eine Schuldfeststellung mehr, sondern nur noch um eine Ursachen Feststellung weil ich glaube, dann kann ich es erst richtig verarbeiten und vergessen.
Ist dieser Gedanke richtig, oder bilde ich mir das ein?

 

Danke für ein paar Zeilen, ich brauch wirklich guten göttlichen Rat!

Lieber Herr H,

 

es tut mir Leid, dass Sie und Ihre Frau anscheinend noch keinen Weg gefunden haben, mit den Erschütterungen in Ihrer Ehe umzugehen. Ich will Ihnen gern ein paar Zeilen schreiben, doch erwarten Sie bitte keinen "göttlichen Rat" aus meinen Worten.

Wenn ich Sie richtig verstehe, möchten Sie von Ihrer Frau vor allem wissen, wie es dazu kam, dass Sie sie betrogen hat. Und wenn ich Sie weiterhin richtig verstehe, weigert sich Ihre Frau vor allem, ihren Seitensprung vor einer dritten Person zu besprechen. Sie schreiben, dass sie keine Beratung haben möchte. Vielleicht ist es so, dass Ihre Frau durchaus Schuldgefühle Ihnen gegenüber hat, auch wenn Sie ihr die gar nicht machen möchten. Aber sie weiß, dass sie verantwortlich für etwas ist, das Ihnen Schmerz bereitet und Ihre ganze Familie gefährdet hat. Sich dieser Schuld zu stellen, verlangt eine Menge Mut und Kraft. Und es wird noch schwieriger, wenn man das vor einer weiteren Person "bekennen" soll. Sie möchten von Ihrer Frau wissen, wie es zu dem Betrug kam. Das ist wiederum sehr mutig von Ihnen, denn es bedeutet, dass Sie sich auch sagen lassen, was ihr gefehlt hat, was sie von Ihnen nicht bekommen hat.

 

Haben Sie schon versucht, mit Ihrer Frau direkt über ihren Seitensprung zu reden? Ich meine, ohne eine Beratung, lediglich Sie beide? Ich kann mir vorstellen, dass Ihre vier Kinder Sie beide so sehr in Anspruch nehmen, dass es als die bessere Alternativer erscheint, die ganze Sache "unter den Teppich zu kehren". Darum rate ich Ihnen beiden, dass Sie versuchen, sich für Zeit für ein Gespräch zu schaffen. Besorgen Sie sich Unterstützung von Verwandten und/oder Freund*innen. Mach Sie denen deutlich, dass Sie beide dringend Zeit für einander brauchen und lassen Sie sich die Sorge für Ihre Kinder für ein Wochenende abnehmen.

 

In dem Gespräch mit Ihrer Frau machen Sie einander deutlich, was geschehen ist. Sagen Sie einander, was Sie von einander brauchen. Überlegen Sie, was Sie befürchten und was Sie erhoffen, wenn Sie Hilfe in einer Beratung suchen. Ich habe das hier so schnell in drei Sätzen aufgeschrieben, aber ich weiß, dass diese drei Sätze Sie und Ihre Frau ein ganzes Wochenende über beschäftigen können. Gehen Sie langsam vor und nehmen Sie sich die Zeit. Ich wünsche und hoffe sehr, dass Ihre Frau sich auf diesen ersten Schritt einlässt, denn es ist absolut notwendig, dass Sie beide miteinander reden. Selbst, wenn Ihr Gespräch darauf hinauslaufen sollte – was ich nicht hoffe –, dass Sie Ihre Ehe als gescheitert erkennen sollten, können Sie darüber reden, wie es dann weitergehen soll. Ich habe den Eindruck, dass Sie beide gerade vor allem "funktionieren", damit Ihre Familie weiterlaufen kann. Das wird längerfristig nicht klappen. Darum noch einmal: Nehmen Sie sich Zeit für einander.

Ihre Frau kann und soll nicht ungeschehen machen, was geschehen ist. Aber sie kann und sollte unbedingt mit Ihnen reden – und Sie mit ihr.

 

Ich grüße von Herzen und hoffe, dass Sie einen Weg finden können.

Frank Muchlinsky

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