Was unterscheidet das alte Testament vom neuen Testament?

Wolfgang

Hallo Herr Bezold, warum wird immer noch das Alte Testament herangezogen, das doch überhaupt nicht mehr anerkannt wird? Ich behaupte, die Gläubigen kennen weder das alte noch das neue Testament in seiner Gesamtheit. Es ist nur ein Glaube. Mit freundlichen Grüßen Wolfgang

 

Lieber Wolfgang,

vielen Dank für Ihre Frage, die für mich als Alttestamentler eine Herzensangelegenheit ist. Ich weiß von Ihren Kommentaren, dass Sie als überzeugter Atheist kritische Fragen stellen. Ich gebe Ihnen insofern Recht, dass viele Menschen heutzutage nicht die gesamte Bibel gelesen haben und (auswendig?) kennen. Ich finde das nicht im Geringsten problematisch, ermuntere Sie und alle anderen aber gerne, sich intensiv mit den biblischen Texten zu beschäftigen.

 

Mit Nachdruck widerspreche ich hingegen Ihrer Behauptung, dass das Alte Testament "doch überhaupt nicht mehr anerkannt wird". Das ist zwar eine provokante Verkürzung, aber keine zutreffende Zustandsbeschreibung über die christlichen Kirchen.

 

Vor zwei Jahren entbrannte an der Berliner theologischen Fakultät ein hitzig geführter Streit um die Frage nach der Bedeutung des Alten Testaments für die christliche Kirche. Es ging um die Frage, inwiefern das Alte Testament von Jesus Christus spreche und welche Rolle das Alte Testament für die Kirche hat. Mit großer Entschlossenheit haben die TheologInnen sich hinter das Alte Testament gestellt und festgehalten, dass es ohne jeden Zweifel Teil des biblischen Kanons ist, der in unserer Kirche der Bezugspunkt der Verkündigung von Jesus Christus ist. Die ersten Christen (und natürlich Jesus selbst) haben die Schriften des heutigen Alten Testaments als ihre heiligen Schriften gekannt und ihre Gegenwart vor dem Hintergrund dieser Schriften gedeutet. Anders gesagt: Ohne Altes Testament ist das Neue nicht verständlich.

 

Der christliche Glaube lebt aus dem reichen Schatz der theologischen und literarischen Welt des Alten Testaments. Ein Christentum ohne Altes Testament gibt es nicht. Dass dabei viele Gebote an Bedeutung verloren haben, zeigt nicht, dass das Alte Testament überflüssig geworden ist. Es zeigt, dass die christliche (im Übrigen genau wie die jüdische) Tradition – zum Glück – eine lebendige ist. Das Alte Testament ist wie das Neue ein Dokument der Erfahrung von Menschen mit ihrem Gott. Der Gott, den Jesus "Vater" nennt, ist der Gott von Abraham bis Maleachi. Das durchzieht neben vielem anderen die beiden Testamente. Das Alte Testament erweist sich im Übrigen in jedem Gottesdienst als ganz lebendig: In jedem Sonntagsgottesdienst finden sich liturgische Bezüge zum Alten Testament, u.a. durch die Psalmenlesung oder den aaronitischen Segen. Nicht zuletzt sind die Bücher des Alten Testaments bedeutender Teil der Weltliteratur und Kulturgeschichte. Sie bieten Menschen mit oder ohne religiösen Hintergrund spannende Lektürestunden.

 


Herzliche Grüße

Helge Bezold

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