Ein Ex-Arbeitskollege hat mir angerufen, dass er nun im Altersheim lebt.
Er ist geistig voll da (82 Jahre); aber jetzt im Rollstuhl. Ich werde ihn in Kürze besuchen. Wie gehe ich um mit Aussagen wie „Wer weiß. wie lange das noch geht?“; "Das kann schlagartig vorbei sein“ Welche Themenwahl, Gesprächsführung empfiehlt sich?
Kommt dabei auch die Religion als Thema in Frage?
Im Voraus besten Dank.
Mit freundlichen Grüßen
R.Müller
Lieber Herr Müller,
vor einem solchen Besuch im Altersheim geht einem vieles durch den Kopf, schließlich ist es nicht irgendein Umzug, den Ihr Arbeitskollege hinter sich hat. Der Umzug in ein Alters- bzw. Pflegeheim ist der Umzug an den letzten Ort und damit steht das Thema Sterben wie ein Elefant mit im Raum.
Umso schöner, dass sie mit Ihrem Besuch seinen neuen Lebensraum aufheitern und ihm dadurch zeigen, dass ihre Verbindung nicht abreißt. Es gibt bestimmt viele Themen, die Ihren Freund und Kollegen beschäftigen und dass Sie sich bereits im Vorfeld überlegen, was ihm durch den Kopf gehen könnte zeugt von einer großen Empathie, die Sie mitbringen. Sich mitfühlend auf sein Gegenüber einzulassen und die Welt für eine Weile aus seinen Augen zu sehen, damit ist schon viel geholfen. Ich finde das wurde selten schöner gesagt, als von Dietrich Bonhoeffer:
"Wie die Liebe zu Gott damit beginnt, daß wir sein Wort
hören, so ist es der Anfang der Liebe zum Bruder, daß
wir lernen, auf ihn zu hören. (…)So ist es sein Werk, daß wir an unserem Bruder tun, wenn wir
lernen, ihm zuzuhören." (Link zum Zitat)
Oder um es etwas flapsiger zu sagen, es gibt einen guten Grund, warum wir mit zwei Ohren und nur einem Mund ausgestattet sind. Die Fragen, die sie Ihrem Arbeitskollegen im-den-Mund-denken, sind ja Fragen, in denen sich weniger der Wunsch nach einer Antwort ausdrückt, als vielmehr danach, die Ängste vor dem Lebensende äußern zu dürfen und sie jemandem zu erzählen, der vor dem Thema nicht zurückschreckt. Denn wie lange unsere Lebenszeit bemessen ist, kann niemand von uns sagen doch wir können darüber reden, ob uns dieser Gedanke Angst macht und darüber, was wir uns wünschen wenn wir sterben müssen, vielleicht nicht alleine sein zu müssen, keine Schmerzen zu empfinden oder auch Gottes Nähe zu spüren.
Sie merken bereits, dass ich Ihnen keinen Gesprächsfahrplan mit auf den Weg geben kann, aber im Umgang mit Elefanten gilt auf jeden Fall: sie bleiben präsent auch wenn wir sie unter einem großen Tuch verstecken wollen und es ist eine mühevolle Aufgabe einen Elefanten aus dem Raum zu schieben. Der bessere Weg ist es wohl, sich mit dem Elefanten einzurichten über ihn zu sprechen und seiner Anwesenheit den Schrecken zu nehmen. Denn das Thema Tod und Sterben ist eines, das uns alle betrifft. Dennoch fühlen wir uns häufig überfordert, ich rate Ihnen, lassen sie zu, dass Ihr Freund bei Ihnen aussprechen kann, was ihn diesbezüglich beschäftigt. Sie sind dem Gespräch jedoch nicht ausgeliefert, schließlich kennen sie sich lange und sie dürfen auch sagen "Darauf weiß ich keine Antwort", oder "Der Gedanke macht mich traurig/ macht mir selbst Angst".
Auch Fragen zum Thema Religion müssen Sie nicht fürchten, denn wenn Ihr Freund von sich aus über seine Religiosität sprechen möchte, werden Sie spüren, welches Anliegen er hat. Für viele Menschen ist es hilfreich über das Sterben in christlichen Bildern sprechen zu können oder sich nach ihren Hoffnungen zu fragen, was das Laben nach dem Tod mit sich bringt.
Machen Sie sich keine großen Sorgen vor dem Besuch, dass sie da sind ist bereits eine wichtige Geste. Wenn ihr Arbeitskollege und Sie sich wohl damit fühlen, können Sie auch gemeinsam ein Gebet sprechen, das Vaterunser oder einen Psalm. Ich merke bei meinen Seelsorgebesuchen immer wieder, wie gut das tun kann und wie schön es ist sich nicht alleine an Gott zu wenden, sondern mit einem Freund, einem Vertrautem, einem Mitmenschen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für ihren Besuch und grüße Sie herzlich,
Maike Weiß