Weinberg bei Jesaja und Markus

Andrea W.
Foto: Getty Images/iStockphoto/RomoloTavani

Lieber Herr Muchlinsky,
am letzten Sonntag hatten wir im Gottesdienst 2 Lesungen vom Weinberg: das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Markus 12,1-12) und die Geschichte vom unfruchtbaren Weinberg (Jesaja 5,1-7). Das Gleichnis kannte ich, der Text bei Jesaja war mir nicht so geläufig. Trotz der sehr spannenden Predigt (die aber ganz andere thematische Wendungen nahm) ist mir v.a. der Text bei Jesaja fremd geblieben. Er klingt wie eine Warnung, dass Menschen, die sich nicht Gott zuwenden, dann auch von Gott im Stich gelassen werden. Das passt aber nicht so richtig in das Bild vom "lieben Gott", der sich den Menschen freundlich zuwendet, oder? Das Gleichnis verstehe ich dann wie eine Weitererzählung der Geschichte bei Jesaja, dass Gott sich immer wieder den Menschen zuwendet, wir aber nicht auf seine Boten bzw. Botschaften achten, sondern am Ende sogar Gottes Sohn getötet haben. Was bedeutet dann aber, "er wird kommen und die Weingärtner umbringen" und wie ist dann der Zusammenhang mit dem "Stein, den die Bauleute verworfen haben..."? Oder haben die Texte gar nichts miteinander zu tun? Einzeln genommen verstehe ich sie aber auch nicht...Es wäre sehr freundlich, wenn Sie etwas zu den Texten schreiben könnten. Ihre Erklärung darf auch gern kürzer sein als meine etwas umständliche Frage. Vielen Dank!

Liebe Frau W.,

Die beiden Texte, von denen Sie sprechen, sind der Evangeliumstext (Mk 12) und der Predigttext (Jes 5) für den Sonntag Reminiscere, nach der alten Perikopenordnung. Ich schreibe das deswegen, weil die einzelnen Texte eines Sonntags immer unter einem bestimmten Thema stehen. Für den Sonntag Reminiscere ist das Thema "Gott und Mensch". Es geht also an diesem Sonntag inhaltlich darum, in welchem Verhältnis Gott und Mensch zueinander stehen. Dass nun zweimal das Bild eines Weinbergs dafür genutzt wird, spielt daher eine geringere Rolle.

Das sogenannte Weinberglied des Propheten Jesaja (Jes 5,1-7) haben Sie, so denke ich, genau richtig verstanden. Es ist in der Tat eine Warnung davor, sich von Gott abzuwenden, beziehungsweise ist für Jesaja klar, dass sich sein Volk bereits von Gott abgewendet hat. Im Gleichnis aus dem Markusevangelium (Mk 12,1-21) spricht Jesus anscheinend diejenigen direkt an, die ihm nach dem Leben trachten. Er stellt sich damit in eine Linie mit den Propheten, die Gott seinem Volk gesandt hat, und die vor ihm bereits geschlagen und getötet wurden. Sollte nun auch der "Sohn des Weinbergbesitzers" getötet werden, käme der Besitzer höchst persönlich, um die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Das Psalmwort vom "Stein, den die Bauleute verworfen haben" (Ps 118,22-23) bezieht Jesus ebenfalls auf sich selbst. Er ist dieser Stein, der von den Bauleuten verworfen, also im wahrsten Sinne weggeworfen wird, den Gott aber zum wichtigsten Stein im Aufbau seines Reiches macht.

Nehmen wir all diese Texte zusammen, ergibt sich folgendes Bild zum Thema des Sonntags: Gott versucht, etwas wachsen zu lassen, etwas aufzubauen, die Menschen aber wenden sich immer wieder gegen ihn und gegen diejenigen, die er gesandt hat. Sie bringen keine Frucht, oder – im schlimmsten Fall – bringen seine Gesandten und sogar seinen eigenen Sohn um. Was anderes als den Tod hätten sie also verdient?

Nun fragen Sie zu Recht: Wie passt das zusammen mit der Vorstellung vom "lieben Gott?" Die Antwort darauf muss lauten: Die Bibel kennt dieses Bild nicht – zumindest nicht in dem Sinne, dass Gott lieb ist. Stattdessen erzählt die Bibel immer wieder davon, dass Gott die Menschen liebt. Das ist nicht dasselbe. Wer liebt, ist nicht immer lieb. Wer Kinder hat, weiß zum Beispiel, dass sich die Liebe zu ihnen manchmal durch Verbote und Konsequenz zeigen muss. Wer liebt, kann zärtlich sein, aber auch eifersüchtig. Die Bibel erzählt von der Liebe Gottes in all ihren Facetten, eben auch von der Eifersucht Gottes. Wir Christ_innen glauben, dass genau das der Grund dafür ist, dass Gott in Jesus Christus Mensch wurde: Weil wir Menschen der Liebe Gottes nicht gerecht werden konnten und niemals können. Darum steht am Ende – nach all der Eifersucht und den Schmerzen der Liebe – die Versöhnung.

Der liebende Gott geht das Risiko ein, seinen eigenen Sohn an uns zu verlieren. Die Drohungen, von denen wir in der Bibel lesen, sind durchaus ernst gemeint. Aber die Bibel erzählt auch davon, dass Gott es immer wieder neu versucht mit den Menschen. Immer bis zum guten Schluss.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen beim Verstehen ein wenig weiterhelfen.

Herzliche Grüße!

Frank Muchlinsky

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