Liebe Pia Heu,
Ich muss erstmal sagen, dass ich dieses Online Angebot hier wirklich sehr schön finde und bereits einige Fragen und Antworten mit großem Interesse gelesen habe. Ich selbst bin in meinem christlichen Glauben katholisch geprägt, aber dennoch ist es interessant, auch einmal über den Tellerrand der eigenen Konfession und ihrer Lehre hinauszublicken und zu versuchen, den eigenen Horizont etwas zu weiten. Gerade auch deswegen würde ich gerne eine Frage hier stellen wollen und zwar im Hinblick auf das Sakrament der Eucharistie. Bei den Katholiken ist es nun so, dass einzig der Priester kraft seiner Weihe im Rahmen der apostolischen Sukzession und in persona Christi das Opfermahl und damit das Sakrament, in dem Gott für den Menschen leiblich gegenwärtig und erfahrbar wird, gültig feiert.
Soweit ich es richtig verstanden habe, teilt zumindest das Luthertum den Glauben an die leibliche Gegenwart Christi hierbei, wenn auch der Opfergedanke der Messe als menschliches Beiwerk verworfen wird. Auch wird besonders das sogenannte Priestertum aller Gläubigen betont. Eine sakramentale Priesterweihe wird also abgelehnt. Würde dies also im Umkehrschluss jetzt bedeuten, dass nach protestantischer Lehre ein jeder getaufte Christ das Sakrament der Eucharistie gültig spendet? Als Katholik kann man nun recht einfach sagen: Nur da wo der geweihte Priester die Messe feiert, da ist Gott im Sakrament auch wahrhaftig gegenwärtig. Mir ist bekannt, dass die protestantischen Kirchen für ihre öffentlichen Gottesdienste Theologen in Ämter als Pfarrer und Prediger berufen und ordinieren, aber am Ende ist es doch ein rein menschlich-kirchlicher Akt, der keine Unterschiede zum "einfachen Gläubigen" begründet und trotzdem ja auch sinnvoll ist, um eine vernünftige Ordnung und Lehre zu bewahren. Mich interessiert aber nun nicht die rechtliche Dimension des Ganzen, wem also jetzt etwas erlaubt sei oder nicht, sondern tatsächlich die Gegenwart Gottes im Sakrament nach protestantischer Lehre und woran man sie fest machen kann.
Ist diese Zusage der Gegenwart Gottes im Abendmahl einem jeden Christen kraft seiner Taufe mitgegeben? Ist, etwas zugespitzt, die Taufe gleichsam auch die protestantische Priesterweihe? Kann also ein Protestant, der vielleicht in einem Land lebt, wo eine christliche Gemeinde nicht zu erreichen ist, ein alter oder gebrechlicher Mensch oder auch nur derjenige, der sich einfach nur vermehrt nach dieser Gegenwart Gottes im Sakrament sehnt, nach dieser stärkenden Speise und sinnlichen Begegnung mit dem Quell der Liebe, "alleine" das Abendmahl feiern und sich der Gegenwart Gottes in Brot und Wein dabei in gleicher Weise gewiss sein, wie diejenigen Gläubigen, die sich Sonntags mit einen ordinierten Pfarrer um den Altar in der Kirche versammeln? Könnte er es mit seiner Familie, mit seinen Liebsten oder Freunden aus denselben Erwägungen feiern und die darin empfangene "Erquickung" und Liebe weitergeben? Wäre er überhaupt wirklich jemals gänzlich "alleine" in einer solchen sakramentalen Feier? Noch kann ich das nicht wirklich durchdringen und ich würde mich freuen und wäre dankbar, wenn man mir die protestantische Lehre hierzu ein wenig darlegen könnte oder mir Hinweise geben könnte, wo man so etwas intensiver nachlesen könnte.
Vielen Dank und liebe Grüße!
Lieber Paul,
mit einer Verzögerung möchte ich Ihnen trotzdem auf Ihre Frage antworten, denn sie könnte auch für andere Interessierte spannend sein, denke ich. Ich kann zwei inhaltliche Fragen erkennen, die sich wohl am besten gemeinsam beantworten lassen. Zum einen die Frage nach der Spende der Eucharistie und zum zweiten die Frage nach dem Priestertum aller Gläubigen, welches sich durch die Taufe ergibt.
Lassen Sie mich von der Bezeichnung „Priestertum aller Gläubigen“ ausgehen. Zwei Begriffe sind dabei entscheidend für die lutherische Position: Taufe und Katechismus (also die Unterweisung im Glauben). Die Taufe wird als Neuschöpfung aus Röm 6 her verstanden. Taufe und Katechismus gehören also zusammen, denn aus der Taufe ergibt sich der Katechismus als Instrument das Leben vor Gott zu gestalten (hier schließt das berühmte Zitat Luthers an „was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof oder Papst geweiht sei“). Neben der Taufe sind aber auch Abendmahl und Buße im lutherischen Verständnis zentral, wie es in den Sakramentssermonen von 1519 und 1520 deutlich wird und sich in seiner besonderen Bedeutung auf das Verständnis des Priestertums aller Gläubigen übertragen lässt. Luthers Lehre ergibt sich unmittelbar aus seiner Neuerfassung des Sakraments, womit wir bereits beim zweiten Teil Ihrer Frage angekommen wären. Gebet und Opfer sind Aufgabe aller Christen, die sich aus dem Priestertum aller Gläubigen (gemeint sind dabei immer alle Christen) ergeben. Die römisch-katholische Messe, die Luther damals vorgefunden und dann ja auch kritisiert hat, ist dabei nicht das Opfer, auch die anderen Sakramente sind es nicht, denn Gott wird dort nichts gegeben, da er der ist, der alles gibt. In dieser Form wird die Funktion des besonderen Priesteramts (das ist das, was Sie wohl als Priester kennen) in der Messe aufgehoben: Die Glaubenden schaffen das Opfer durch ihre geistliche Hingabe des Selbst vor Gott, denn Gott hat uns seine Gnade und Barmherzigkeit im Sakrament zugesagt. Darin allein wirkt die Messe, die sich nicht als Automatismus vom Opfer des Priesters einstellt. Geistliches Opfern meint also sich mit Christus zu opfern, was allein durch den Glauben möglich ist. D.h., dass es eben keiner besonderen Weihe bedarf, sondern, dass direkt und unmittelbar im Glauben, der durch die Taufe bestätigt ist, die Weihe erfolgt. Genauer zu verstehen ist dies in dem, „daß wir uns auf Christus legen mit einem festen Glauben an sein Testament und nicht anders mit unserm Gebet, Lob und Opfer vor Gott erscheinen, denn durch ihn und seine Vermittlung, und wir nicht daran zweifeln, er sei Pfarrer und Pfaffe im Himmel vor Gottes Angesicht“.
Kurzum lässt sich die Kernaussage der lutherischen Position mit Luthers Worten zusammenfassen: „Darum sind alle christlichen Männer Pfaffen, alle Weiber Pfäffinnen, es sei jung oder alt, Herr oder Knecht, Frau oder Magd, gelehrt oder Laie. Hier ist kein Unterschied, es sei denn, der Glaube ungleich.“ Sie haben also absolut recht, wenn Sie schreiben, dass, lutherisch gesagt, die Taufe gleichsam die protestantische Priesterweihe ist.
Nun aber, lässt sich bei Luther selbst eine Entwicklung seiner Position zum besonderen Priesteramt, er nennt es das Pfarramt, wahrnehmen. In den beginnenden 1520-er Jahren trat er deutlich für das Priestertum aller Gläubigen ein, wich jedoch gegen Mitte und Ende der 1520-er Jahre, insbesondere in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern und Widertäufern, von seiner absoluten Position zurück. Er verfolgte sie zwar weiterhin, setzte nun aber den Fokus zunehmend auf die besondere Bedeutung des Pfarramtes innerhalb des Priestertums aller Gläubigen. Damit sind wir auch am springenden Punkt, den Sie bereits konkret benannt haben. Warum braucht es dann also noch Pfarrerinnen und Pfarrer? In der Confessio Augustana schreibt Melanchthon in Artikel 14:
„Vom Kirchenregiment wird gelehrt, daß niemand in der Kirche öffentlich lehren, predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordentliche Berufung.“
Es bedarf also einer Berufung in das besondere, ja in das Pfarr-amt. Luther schreibt außerdem in seiner Auslegung zum 82. Psalm, dass es wahr ist, dass alle Christen Priester sind, aber trotzdem nicht alle Pfarrer sind. Zusätzlich zum Priester- und Christ-Sein, braucht der Pfarrer auch ein Amt und ein Kirchspiel, woraus sich ein Beruf und ein „Befehl“ ergeben. Luther bringt an dieser Stelle einen Vergleich mit den Bürgern und Laien, die es sich nicht trauen würden, in einer Schule zu lehren, ohne eine Lehrerlaubnis (hier der Doktorgrad) zu haben. Ich finde diesen Vergleich zwar heute etwas schwierig, denn das Verhältnis von Staat und Kirche hat sich seit dem 16. Jahrhundert deutlich gewandelt, vielleicht kann es die Situation aber trotzdem etwas besser verdeutlichen.
Am Ende Ihrer Frage sind wir damit aber bei einem dritten Thema, dem protestantischen Kirchenverständnis, angelangt. Kann ein Christ, also ein Getaufter, das Abendmahl „würdig“ spenden? Grundsätzlich: jein. Er oder sie kann es schon spenden, aber die Wandlung muss ein Ordinierter, im Sinne eines Berufenen, übernehmen. Denn dabei handelt es sich um das, was in der Confessio Augustana als "die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden" festgehalten ist. So wird es für eine Kirche vorgeschrieben. Auch die Frage, ob man das Abendmahl allein feiern kann, würde ich mit der Confessio Augustana Art. 7 beantworten, denn dort wird Kirche als "die Versammlung aller Gläubigen" bezeichnet. Ein alleiniges Abendmahl erfüllt weder einen Gemeinschaftsgedanken, den römisch-katholische und evangelische Kirche ja gleichsam teilen, noch den Versammlungscharakter (streng genommen wären immerhin Christus und die Person versammelt, aber das ist mit besagtem Artikel 7 hier sicher nicht gemeint). Eine gänzlich alleinige Abendmahlsfeier ist also auch im lutherischen für einen nicht ordinierten bzw. berufenen Getauften nicht möglich.
Ich hoffe ich konnte Ihre spannenden Fragen beantworten und Ihnen zudem einige neue Denkanstöße mit auf den Weg geben. Es freut mich, dass Sie sich mit solch komplexen und umfassenden Themen beschäftigen und sich theologisch nicht abschrecken lassen.
Ökumenische Grüße sendet Ihnen
Pia Heu