Wie ist der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens exegetisch zu verstehen?
Herzlich
Alice
Liebe Alice,
über die so genannte Urgeschichte (Gen 1-11) zu Beginn des Alten Testaments haben sich schon viele Bibelforscherinnen und –forscher die Köpfe heiß geredet. Es sind die ganz grundsätzlichen Fragen der Menschheit, die in diesen Erzählungen zum Thema werden: Wie ist die Welt geworden wie sie ist? Woher kommt der Mensch? Was ist seine Bestimmung? Wieso das Böse, wenn doch Gott eine gute Welt geschaffen hat? Wieso die Auseinandersetzungen zwischen den Menschen...?
Inmitten dieser großen Menschheitsfragen stehen die beiden Bäume in Gen 3, nach denen Sie fragen, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Gott hatte den Garten Eden gepflanzt und die Menschen dort hineingesetzt. Allerlei Bäume ließ er wachsen und mitten in den Garten pflanzte er den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis. Die Menschen durften von allen Früchten essen außer von denen dieser beiden Bäume. Von der Schlange lassen sie sich dann aber doch verführen und probieren vom Baum der Erkenntnis. Sie erkennen daraufhin, dass sie nackt sind und machen sich aus Scham Schurze aus Feigenblättern. Gott tötet Adam und Eva nicht, aber er verflucht die Schlange sowie Adam und Eva. Die Schlange, die vorher noch Beine hatte, muss fortan auf dem Bauch kriechen, Eva soll unter Mühen Kinder gebären, sie wird Adam untergeordnet und Adam soll unter großen Mühen arbeiten müssen. Damit sie nicht auch noch in Versuchung geraten vom Baum des Lebens zu essen, dessen Früchte ewiges Leben bescheren, vertreibt Gott Adam und Eva aus dem Paradies und ließ den Garten Eden von Cherubim mit flammenden Schwertern bewachen, damit niemand den Baum des Lebens erreichen kann.
Die Erzählungen zu Beginn des 1. Buchs Mose sind natürlich keine historischen Aussagen. Es würde uns als moderne Menschen ja auch einigermaßen merkwürdig vorkommen, wenn die Erklärung dafür, dass Frauen Geburtsschmerzen haben, darin läge, dass zwei Menschen vor langer Zeit von einer Frucht genascht haben. Dennoch sind diese Erzählungen zutiefst bedeutsam und relevant. Es sind Erzählungen, die sich aus der Frage entwickeln, warum die Welt, in der wir leben so ist, wie sie ist.
In der Tat geben die beiden Bäume, nach denen Sie fragen, Rätsel auf. So ist bsw. fraglich, warum Gott eigentlich in Gen 1,17 nur das Essen vom Baum der Erkenntnis verbietet, so als gäbe es den Baum des Lebens gar nicht. In Gen 3.3 spricht Eva ebenfalls nur den dem einen Baum, von dem nicht gegessen werden dürfe. Daher meinen einige Forschende, dass in 3,3 wohl Bäume/Gehölz gemeint sei und so der Baum des Lebens einfach mit gemeint sei. Zudem wurde darüber gerätselt, warum Gott nicht einfach den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens mit den Cherubim hätte sichern können und Adam und Eva wären so weiter im Paradies geblieben. Allerdings ist ja gerade die Vertreibung aus dem Paradies das Ziel der Erzählung. Diese Vertreibung steht notwendig am Ende, weil sie die Erklärung dafür liefert, warum wir Menschen alle jenseits des Paradieses leben mit allen Mühen und Entbehrungen, die damit verbunden sind.
Das erzählte Geschehen um die beiden Bäume soll eine Erklärung dafür liefern, warum wir Menschen zwar die Erkenntnis des Guten und des Bösen besitzen, aber nicht das ewige Leben. Dass gerade das Thema des ewigen Lebens mit dem Bild eines Baumes verbunden wird, ist gut nachvollziehbar. Bäume werden sehr viel älter als Menschen und so lag für die Menschen zur Zeit der Entstehung dieser Texte nahe, anzunehmen, dass Bäume das Leben schlechthin verinnerlicht haben und es abgeben können.
Bei beiden Bäumen geht es darum, dass es verführerisch für uns Menschen ist so sein zu wollen wie Gott: mit ewigem Leben und der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Bei der Erkenntnis des ‚Guten und Bösen’ hören die Menschen zur Zeit der Entstehung dieser Texte nicht wie wir heute das moralisch Gute und Böse. Einige Forscher gehen davon aus, dass eher ‚das Positive und das Negative’ gemeint sei, also im Grunde alles, was man überhaupt wissen kann, Allwissenheit.
Wahrscheinlicher ist aber, dass es im weitesten Sinne um ein Wissen im Hinblick auf ‚das Nützliche und das Schädliche geht’. Das wäre dann ein Wissen, das dem Menschen hilft sein Leben zu bewältigen. Es ist gut, dass wir als Menschen solches wissen haben, aber es ermöglicht dem Menschen eben auch sein Leben aus eigener Regie zu führen ohne die ständige Verbundenheit mit Gott. Das ist ja eine Spannung, die wir auch aus unserem Leben kennen. Vieles haben wir in der Hand und können wir leisten aus uns selbst heraus. Da fällt es manchmal gar nicht so leicht auch mit Gott im eigenen Leben zu rechnen.
Sein zu wollen wie Gott ist gerade die Ursünde des Menschen. Wenn Gott den Menschen verbietet von den Früchten zu essen, dann ist das also eine Erinnerung an seine Grenzen als Geschöpf. Obwohl Gott den Menschen vorher gesagt hat, dass sie sterben würden, wenn sie von den Früchten essen, tötet er sie nicht. Gottes Umgang mit der Verfehlung von Adam und Eva ist also auch ein Zeichen seiner großen Gnade. Trotz der Verfehlung bleibt Gott den Menschen zugewandt.
Interessant ist, dass rund um das Essen der verbotenen Früchte und den Folgen Eva im Rahmen der Auslegungsgeschichte der Texte sehr schlecht wegkommt. Man hat lange gemeint, Eva sei die Verführerin und sei somit der Grund für das Böse in der Welt. Der Mann sei hingegen vom Bösen entlastet. Diese Vorstellung hat das christliche Frauenbild sehr bestimmt und viele Frauen haben es leider in der Folge auch verinnerlicht.
Dass Eva die allein Schuldige sein soll, ist aber gar nicht plausibel. Beide haben gegessen und auch beide sind danach von Gott bestraft worden. Dass Eva diejenige ist, die mit der Schlange spricht und dann Adam den Apfel reicht, hat wohl eher etwas damit zu tun, dass die Frau in der Entstehungswelt dieser Texte traditionell diejenge war, die für die Ernährung zuständig ist. Dass Adam Eva den Apfel anbietet, hätte wohl in dieser Zeit sehr komisch geklungen.
Ein weiterer Grund, warum Eva von den Erzählenden mit der Schlange unter den Baum gestellt wurde, liegt wiederum im Motiv des Baumes, für das Sie sich interessieren. Es war in der altorientalischen Ikonographie sehr gängig auf Bildern Frauen mit Bäumen zu zeigen. Meistens handelte es sich dabei um Göttinnen. In der Bibel ist es häufig so, dass solche Motive, die man aus der Umwelt kennt, in die biblischen Texte aufgenommen werden. Mit einer besonderen Vorliebe der Frauen für Sünde hat all das also nichts zu tun.
Ich konnte jetzt nur ein paar ausgewählte Aspekte rund um den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis ansprechen. Wenn Sie noch mehr erfahren wollen, lesen Sie doch gern auch nochmal unter folgendem link nach:
https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/baum-der-erkenntnis-baum-des-lebens/ch/62e656224b1bb7901af6b1336d609944/
Herzliche Grüße
Katharina Scholl