Wie steht die evangelische Kirche genau zur Schöpfung und der Evolutionstheorie? Ich habe bisher nur sehr undeutliche Aussagen gefunden und ich würde gerne wissen, ob zum Beispiel ein kreationistisches Schöpfungsverständnis in der evangelischen Kirche enthalten ist.
Lieber Herr Even,
in der evangelischen Theologie, wird die Welt als Gottes Schöpfung angesehen. In Psalm 24 heißt es "Die Erde ist des Herrn", das bedeutet, sie ist dem Menschen zwar anvertraut, aber sie bleibt ihm zugleich unverfügbar - da Gott sie erschuf und erhält. Wie der Mensch mit der Schöpfung, also mit der Umwelt und seinen Mitgeschöpfen umgehen soll, ist deshalb nicht egal. Er ist nicht "Herr im Haus", sondern hat die Erde und was darinnen ist, von Gott zur verantwortlichen Fürsorge übergeben bekommen.
Doch wie können wir uns diese Schöpfung der Welt vorstellen? Wie gehen wir mit den Schöpfungsberichten der Bibel um?
Die erste, priesterliche Schöpfungsbericht wurde im 6. Jh.v.Chr. im babylonischen Exil verfasst. Er greift Bilder auf, die auch im mesopotamischen Umfeld für die Erschaffung des Kosmos verwendet wurden. Bilder von einem Paradiesgarten und einem chaotischen Urmeer, das durch Gottes ordnendes Eingreifen zum Lebensraum für Mensch und Tier werden kann. Dementsprechend sind diese Beschreibungen nicht mit der Entstehung der Arten, wie sie Charles Darwin als Grundlage der Evolutionsbiologie im 19. Jahrhundert verfasste, vereinbar. Die Schöpfungserzählung wird von evangelischen Theologen nicht dazu herangezogen in Konkurrenz zu den modernen Naturwissenschaften eine eigene Theorie zu entwerfen, oder Gott in die weißen Flecken der Naturwissenschaft zu verschieben, für die es noch keine wissenschaftliche Erklärung gibt.
Die ersten Naturwissenschaftler verstanden ihre empirische Forschung zum Teil noch als Beitrag das ruhmreiche Schöpfungshandeln Gottes genauer herauszuarbeiten. Doch kirchlicherseits wurden die Forschungsergebnisse häufig als Bedrohung der biblischen Lehre empfunden und machtvoll zurückgedrängt. Von solchen Rückzugsgefechten ist die Kirchengeschichte voll und verschiedene Spielarten des Kreationismus versuchen bis heute die wortwörtliche Wahrheit der biblischen Schöpfung mit naturwissenschaftlichen Modellen zu harmonisieren. Vor allem in evangelikalen Kreisen in den USA hat der Kreationismus viele Anhänger, die sich sogar dafür aussprechen, die Lehren im Schulunterricht gleichbedeutend neben der Evolutionstheorie in den Lehrplan aufzunehmen.
An den evangelischen Fakultäten in Deutschland (an denen die späteren Pfarrerinnen und Pfarrer ihr Studium absolvieren) wird die Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens historisch-kritisch ausgelegt. Die alttestamentlichen Texte über die Entstehung des Kosmos und der Lebewesen werden auf ihre bleibende theologische Aussage hin befragt, welche die Erzählungen in ihrer geschichtlich bedingten Sprachgestalt und Bilderwelt transportieren.
So gelesen, erzählt die biblische Schöpfungsgeschichte von der Ehrfurcht vor dem Leben und der Würde, die jeder Menschen besitzt, als Ebenbild Gottes. Davon, dass die Erde eine gute, lebensspendende Umgebung für den Menschen bietet und dass Menschen in Beziehungen zu anderen Menschen leben sollen und füreinander und für die Erde verantwortlich sind.
Die Erzählung vom Sündenfall spricht von der menschlichen Erfahrung von Schuld und davon, wie mühsam sich das Leben der Menschen gestaltet. Diese Auslegung ist weit entfernt von einem kreationistischen Weltbild und sie stellt die Methoden und Erklärungsmodelle der Naturwissenschaft nicht infrage. Sie stellt allerdings die Frage, was sich über das Wesen des Menschen als Geschöpf sagen lässt.
So interpretiert Martin Luther die Schöpfungslehre nicht als naturwissenschaftlichen Tatsachenbericht, sondern er schreibt im kleinen Katechismus, was sie für ihn im Glauben bedeutet:
Der Erste Artikel: Von der Schöpfung
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit (…)
Ich hoffe, Ihnen waren diese Schlaglichter behilflich und grüße Sie herzlich,
Maike Weiß