Das "Kinderevangelium" bei der Taufe

Leo Barocka
Kind wird getauft mit Bibelstelle Mk 10,16
©shutterstock/sweet marshmallow

Warum hört man in Taufgottesdiensten für Kinder immer auf Markus 10 verwiesen, da es in diesem Text doch gar nicht über Taufe geht? Selbst im griechischen Text gibt es einen Unterschied zwischen Segnen und Taufen.

Lieber Herr Barocka,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben durchaus Recht, wenn Sie sagen, dass Segen und Taufe nicht dasselbe sind. Das beginnt schon im Griechischen Urtext. Hier wird für "taufen", zwar nicht an dieser Stelle, aber ganz grundsätzlich, das Verb "βαπτίζω" (baptizo) verwendet und für segnen wird hier in Mk 10,16 "κατευλόγει" (kateulogei) (in der Grundform "εὐλογῶ" - eulogo) verwendet. Etymologisch haben die beiden Begriffe nichts miteinander zu tun und entstammen aus verschiedenen Kontexten. Der griechische Begriff für "segnen" besteht aus einer Vorsilbe und einem Verb: "eu" und "logo", welche "gut" und "reden" bedeuten. Wenn von "eulogo" die Rede ist, lässt sich das also bildlich so verstehen, als wird von jemandem gut geredet. Das griechische Wort für taufen hingegen meint, aus dem klassischen Wortverständnis heraus, tatsächlich eintauchen oder untertauchen. Es geht also um den äußeren Akt, der beim Taufen passiert. Und natürlich ist auch die Bedeutung beider Handlungen eine ganz andere. Nur die Taufe ist ein Sakrament, der Segen nicht.

Und auch in diesem Punkt haben Sie Recht: Zu Kindertaufgottesdiensten wird Mk 10,13-16 gelesen. Ich füge den Text hier aus der Lutherübersetzung von 2017 nochmals ein, damit wir auf dem gleichen Stand sind und darauf aufbauend betrachten können warum diese Perikope gelesen wird.

Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

In der Tat sprechen Sie hier eine strittige Frage an, die sich allein auf der Textgrundlage des Neuen Testaments nicht eindeutig klären lässt. Denn explizit zur Taufe von Kleinkindern finden wir in den Schriften des Neuen Testaments nichts. Die Theologen Joachim Jeremias und Kurt Aland aber diskutierten die Frage der Kindertaufe in den 1960er und 1970er Jahren. Jeremias argumentierte für die Kindertaufe und Aland dagegen. Auch auf Mk 10,13-16 ging Jeremias ein. Er nahm an, dass es sich bei dieser Perikope um einen Nachweis dafür handelt, dass die Christen zu neutestamentlicher Zeit die Unterweisung erhalten haben, ihre Kinder möglichst früh taufen zu lassen. Auch Roloff, ein weiterer Theologe, der sich mit dem Neuen Testament beschäftigt, spricht davon, dass diese Argumentation durchaus schlüssig ist und man wohl nicht leugnen kann, dass es auch zu neutestamentlichen Zeiten und in der darauffolgenden Zeit des Urchristentums Diskussionen über dieses Thema gegeben hat.

Interessant ist an dieser Stelle auch, dass Vers 15 nicht nur hier bei Markus sondern auch bei Matthäus (Mt 18,3) vorkommt. Man nimmt also an, dass es sich dabei um eine in einer Tauftradition verankerte Formulierung handelt, die auffordert, Kinder zu taufen. Auch ein weiterer Vers ist von Bedeutung: Vers 14 b, wo es heißt: "Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht […]." Dieser Vers wird als typische Taufformel verstanden, d.h., dass das bei der Taufe zu neutestamentlichen Zeiten und in der Zeit des Urchristentums gesagt wurde.

Insofern geht es in Mk 10,13-16 nicht im eigentlichen Sinne um Taufe. Es gibt aber trotzdem einige Schnittstellen zwischen der Taufe und der Textstelle.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen Ihre Fragen beantworten und grüße Sie herzlich,

Pia Heu

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