Wenn schon niemand die Frage nach dem Sinn des irdischen Lebens (sinnvoll) beantworten kann, dann sollte ein Theologe doch in der Lage sein den Sinn, das Ziel oder den Zweck des ewigen Lebens zu erklären. Angenommen ich habe die Anforderungen für ein ewiges Leben erfüllt und bin nun im Himmel. Was nun? Wozu das ewige Leben?
Lieber Adam,
Ihre Frage ist verzwickt, weil Sie mich dazu bringen möchten, dass ich irdisches und ewiges Leben strikt voneinander trenne. Zusätzlich behaupten Sie, dass die Theologie den Sinn irdischen Lebens nicht erklären kann. Also - so verstehe ich Sie - soll ich Ihnen ausschließlich den Sinn des ewigen Lebens erläutern und auf irdische Aspekte verzichten. Offenbar sorgt der Gedanke, dass es ein ewiges Leben gibt, für eine Neugier die wissen will, was mich einst im Ewigen erwartet.
Es geht um den Unterschied von allem anderen, das ich erlebe, der die Ewigkeit ausmacht. Aber um das zu beschreiben, stehen nur menschliche, irdische Worte zur Verfügung. Ich denke, die Richtung einer Antwort auf Ihre Frage führt - bildlich gesprochen - in einen frühen Morgennebel, zu einer vagen Sphäre, die schattenhaft wie eine Ahnung ihren Glanz über das Heute legt. Doch es fehlen die Worte für präzise Beschreibungen. Denkbar ist auch eine Art flirrende Atmosphäre, in die hinein sich unser altes Leben neu entfaltet. So wie ich nach dem Sterben eines Menschen ein Fenster öffne und spüre, wie sich das Leben aus dem Körper löst und eine neue Weite sucht. Doch dem menschlichen Wortschatz fehlen die klaren, scharfen Begriffe, die ewiges Leben beschreiben. Auch die Bibel ist äußerst behutsam mit Worten und bietet an der Nahtstelle zwischen Irdisch und Ewig vor allem eine mit Vertrauen erfüllte Zuversicht an: "Ich werde bleiben im Hause des Herren immerdar." (Psalm 23,6) Der Glaube an ein ewiges Leben schärft die Sinne für das ganz Andere, Große, die Gnade, die wie ewige Resonanz durch die Generationen klingt.
Mit Ihrer Frage wollen Sie zwei Bereiche voneinander lösen, die unmittelbar ineinander verwoben sind. Spricht die Bibel vom "Reich der Himmel", dann leiht sie sich Worte und Bilder vom Alltag, mit denen sie Ewiges an irdischen Beispielen sichtbar macht. Irdisches und ewiges Leben sind, besonders in Jesu Rede vom Himmelreich, aufeinander bezogen. Jesu Verkündigung spricht vom nahen Gottesreich und das Reich der Himmel wird in der Regel mit Gleichnissen, die aus dem Leben gegriffen sind, erläutert. "Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg", beginnt Jesus eins dieser Gleichnisse (Matthäus 20,1-15). Und er schließt mit dem Satz: "Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir." Ewiges Leben ist also voller Gnade, gerade für die Menschen, die es - aus menschlicher Sicht - nicht verdient haben. Und zu dem Menschen, der gleichzeitig mit Jesus stirbt, sagt er: "Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein." (Lukas 23,43) Ewiges Leben ist eine Sphäre, die nicht von Exklusivität geprägt ist, sondern ausdrücklich eine lebenswerte Weite öffnet.
Also bleibt die Frage: Was ist der Sinn meines Lebens? Antwort: Es gut zu machen! Zuerst denke ich an unsere Kinder, an unsere Ehe, Freundschaften, Kolleginnen und Kollegen. Ich lebe aus der Hoffnung, dass durch mein Leben das Leben der anderen Menschen etwas besser wird. Denn ich lebe ja auch davon, dass andere Menschen mein Leben besser machen, mir helfen, mir einen Sinn geben. Mein Leben ist ja von der Liebe und Sympathie anderer Menschen erfüllt, die tragen mich, geben mir Sinn. Und: Was wir in unserer Familie, im Dorf, der Kirche, in den beruflichen Zusammenhängen gemeinsam schaffen, stiftet anderen Menschen - hoffentlich - einen Sinn. Und Jesu Antwort an einen selbstzufriedenen Mann, der sich nur um sich selbst kümmert und seinen Reichtum im Blick hat, ist einfach: "Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!" (Lukas 18,22) Das klingt rigoros, das ist an Klarheit nicht zu überbieten. Oder mit dem Theologen Dietrich Bonhoeffer gesagt: "Aller Sinn des Lebens ist erfüllt, wo Liebe ist."
Herzlich grüße ich Sie, Ihr Henning Kiene