Hallo,
Ich hatte gestern eine Meinungsverschiedenheit mit meiner besten Freundin, weil sie sagt, dass eine Frau selber Schuld ist, wenn der Mann fremd geht, wenn sie sich ihm verweigert. Das wäre in ihren Augen emotionale Gewalt (das sich verweigern). Darauf habe ich ehrlich gesagt ziemlich allergisch reagiert, weil ich finde, jeder Mensch hat das Recht "nein" zu sagen.
Das lässt mir keine Ruhe und da ich erst vor einigen Wochen neu zum Glauben gefunden habe merke ich, dass mich das ein klein wenig in meinen Grundfesten was Gottes Liebe angeht erschüttert. Ich habe das nun in sämtlichen Übersetzungen von 1. Korinther 7, 4-5 über den "Bibleserver" nach geschaut und ja es steht so da drin, das man NICHT über seinen eigenen Körper verfügen darf, weil man dem anderen gehört. Hat man nun in einer Ehe nicht mehr das Recht zu sagen, ich will keinen Sex?
Ehrlich gesagt finde ich diese Aussage extrem heftig und kann mir einfach (oder möchte) mir nicht vorstellen, dass DAS Gottes Wille ist, damit hätte ich ein echt riesigen großes Problem. Nicht für mich, ich bin und bleibe Single, aber wie viele anderen Frauen halten das dann aus weil es so in der Bibel steht?
Ich denke, ich reagiere da auch allergisch drauf, weil ich selber eine Missbrauchs-Ehe hinter mir habe und mich frage wie viele Frauen auf dieser Welt sich nicht wehren, nicht Nein sagen, eben Weil es so in der Bibel steht? Was denken sie darüber?
Liebe Grüße und vielen Dank für das Lesen und Beantworten!
Liebe Nicole,
da ich liberal-christlich und feministisch geprägt bin, reagiere ich genauso allergisch wie Sie auf solche Aussagen. Ich stimme Ihnen also vollkommen zu: "Nein heißt Nein!". Das gilt für alle Menschen, in allen Liebesbeziehungen. Alles andere ist Missbrauch, ist Gewalt. Das gilt genauso auch in christlichen Liebesbeziehungen - auch hier darf jeder Mensch Grenzen setzen und diese sind zu respektieren.
Wenn jemand fremdgeht und/oder unehrlich ist, dann liegt die Schuld bei der Person, die fremd geht - so sieht es übrigens auch die Bibel, z.B. im 6. Gebot "Du sollst nicht ehebrechen". Dem Partner oder der Partnerin eine Mitschuld zu geben, ist eine Schuldumkehr. Die Schuld wird der geschädigten Person übertragen. Das halte ich für sehr gefährlich. Schnell kann es zu einem Druckmittel werden - so findet Sexualität dann ohne gegenseitiges Einverständnis statt. Aus gutem Recht ist aber seit 1997 die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat. Wenn ich mich gegen das "Nein" einer Person hinwegsetze, dann ist das genau das - sexualisierte Gewalt.
Mein Eindruck ist, dass hier unter der Verwendung bestimmter Bibelzitate vor allem eine patriarchale Haltung untermauert wird. Diese war in der Entstehungshaltung der Bibel auch gesellschaftlich prägend - nun leben wir aber glücklicherweise im 21. Jahrhundert und haben uns in bestimmten Fragen weiterentwickelt. So sollte jede Liebesbeziehung, so sollte jede Sexualität, einvernehmlich und auf Augenhöhe stattfinden, also im gegenseitigen Konsens. Selbstverständlich schließt das ein, dass die Beteiligten volljährig sind, nicht im Abhängigkeitsverhältnis stehen usw.
Übrigens, wenn man etwas genauer in 1. Kor 7 schaut, sieht man, dass es sich um eine Empfehlung handelt: "Das sage ich aber als Erlaubnis und nicht als Gebot." Es ist also eine Empfehlung - die Empfehlung, Sexualität in der Beziehung auszuleben, um nicht in Versuchung zu geraten. So bleibe mehr Zeit für das Gebet und die Gottesbeziehung. Die Schuldfrage ist dabei ausgeklammert (für Paulus ist klar, dass die Schuld bei den Fremdgehenden liegt). Und zudem ist eine einvernehmliche Beziehung vorausgesetzt. Paulus möchte damit die Unzucht verhindern, persönlich votiert er aber eigentlich für die Ehelosigkeit bzw. das Zöllibat.
Ich hoffe, das konnte schon einmal einige Fragen klären. Zusammengefasst: Auch in christliche Beziehungen sollte Sexualität nur einvernehmlich auf Augenhöhe statt finden, "Nein heißt Nein!". Ehepartner*innen stehen sich gegenseitig nicht uneingeschränkt zur Verfügung, sie sind ja kein Besitz.
Und als kleine Ergänzung: Heutzutage gibt es glücklicherweise viele verschiedenen Formen der Liebe und des Begehrens. Natürlich kann es Beziehungen belasten, wenn die Lust auf Sexualität unterschiedlich ausgeprägt ist. Glücklicherweise kann dies aber kommuniziert werden, so dass gemeinsam Lösungen gefunden werden können. Sexualität muss nicht zwangsläufig nur in einer monogamen Zweierbeziehung stattfinden. Paare können miteinander auch offene und polyamore Formen vereinbaren. Wichtig ist vor allem Kommunikation, Ehrlichkeit und Konsens.
Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem Weg als Christin, vielleicht finden Sie Glaubensgemeinschaften, in denen Sie sich theologisch eher beheimatet fühlen. Ich wünsche Ihnen alles Gute dafür!
Danke für Ihre Frage und beste Grüße,
bleiben Sie behütet,
Johanna Klee
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