Guten Tag Frau Klee,
ich komme mit einer, ich möchte meinen, ungewöhnlichen Frage zu Ihnen. Auch wenn sie etwas doof zu formulieren ist, hoffe ich trotzdem, dass sie mir weiter helfen können:
Folgende Sachlage:
Vor ein paar Jahren wurde ich vergewaltigt. Nach einer Therapie möchte ich mich der Sache ausgiebiger widmen und eventuell auch den Täter anzeigen. Nun ist es aber so, dass Gott sagt, man soll den Menschen vergeben.
Missachte ich diese Worte, wenn ich zur Anzeige greife? Ist das ein Zeichen, eine Handlung, wodurch ich zeige, dass ich nicht vergeben habe?
MfG
Lieber Peter,
es tut mir wirklich wahnsinnig Leid, dass Ihnen das widerfahren ist. Mich macht das wütend und fassungslos.
Ich finde es bewundernswert, dass Sie versuchen, dem Täter zu vergeben. Ich möchte Ihnen mit auf den Weg geben, dass gerade in den letzten Jahren einige Diskussionen zum Thema Vergebung in der evangelischen und katholischen Kirche entstanden sind. Vielleicht denken Sie an die Vater-Unser-Bitte "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Diese Bitte richtet sich an Menschen auf gleicher Augenhöhe. Dann kann sie zu einem versöhnten Umgang miteinander beitragen. Bei sexualisierter Gewalt gibt es diese Augenhöhe jedoch nicht. Deswegen kommen viele Theolog*innen zu dem Schluss, dass ein Opfer seinem Täter oder ihrer Täterin nicht vergeben muss, sondern dem Gericht Gottes anheim stellen kann. Gott ist es, der urteilt, der bestraft oder auch vergibt. Nur er ist allgütig und allversöhnend - etwas, dass ihn von uns Menschen unterscheidet.
Wenn Sie aber verzeihen und vergeben können und mögen, wenn das für Sie und für Ihren therapeutischen Prozess wichtig ist, ist das natürlich Ihre alleinige Entscheidung! Nur - fühlen Sie sich nicht dazu verpflichtet aufgrund Ihres Glaubens.
Ganz unabhängig davon steht es Ihnen frei, den Täter anzuzeigen. Eine Anzeige ist etwas, das ganz von der religiösen Fragestellung losgelöst ist. Selbst, wenn Sie vergeben, kann es sinnvoll sein, rechtliche Schritte einzuleiten, da Straftaten auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen sollten. Doch auch hier ist wichtig, dass Sie sich vor allem nach Ihren eigenen Bedürfnissen richten. Ihre therapeutische Praxis oder eine Beratungsstelle können Ihnen sicherlich helfen, die für Sie richtigen Schritte einzuleiten.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute dafür!
Bleiben Sie behütet,
Johanna Klee
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