Petrus und die Schlüssel zum Himmel

G_AR
Tor am Meer aus verschieden großen Steinen gebaut
© Lorenzo Fatto Offidani/Unsplash

Ich habe eine Frage zu folgender Bibelstelle aus dem Matthäusevangelium: "Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein." (Mt 16,18.19) Was meint Jesus damit?

Oje, liebe/r GA_R,

wie soll ich diese Frage beantworten? Der Ausspruch, den Sie da zitieren, hat eine solch riesige Wirkungsgeschichte, dass sich das, was Jesus damit gemeint haben könnte, kaum noch erkennen lässt. Um ein Bild zu benutzen: Es ist, als wäre mit seinem Wort vom Stein (und vom Schlüssel) selbst ein Stein einen Abhang herunter geworfen worden, der andere Steine löste, bis eine ganze Lawine losbrach. Nun stehen wir am Fuß des Berges vor dem riesigen Geröllhaufen. Wie sollen wir da noch herausbekommen, welches der erste Stein ist?

Ich will dennoch versuchen, ein paar Antworten zu geben, und ich bitte Sie zu bedenken, dass ich Ihnen hier als Theologe antworte, das heißt, ich gebe kein Bekenntnis ab, sondern ich versuche zu erläutern, was wissenschaftlich wahrscheinlich ist.

Simon, der „Petrus“
Der Apostel Simon hat in allen Evangelien den Beinamen „Petros“ (gr. „Stein“), Schon Paulus (der seine Briefe früher schrieb, als die Evangelien geschrieben wurden) kennt diesen Beinamen, der auf Aramäisch (also in der Sprache Jesu) „Kephas“ heißt. Es ist wahrscheinlich, dass Simon seinen Beinamen tatsächlich von Jesus bekam. Möglicherweise bedeutete er aber eher so viel wie „Edelstein“, als dass Jesus einen „Baustein“ gemeint hätte. Die Stelle in Mt 16,18 hat ihre Parallelen im Markus- und im Lukasevangelium. Bei diesen beiden fehlen die Worte vom „Stein“ und vom „Schlüssel“. Nur bei Matthäus folgt auf das sogenannte Petrusbekenntnis (eben dass Petrus zu Jesus sagt: „Du bist Christus“) das Wort von Jesus an Petrus. Bei Markus und Lukas befiehlt Jesus lediglich seinen Jüngern, das niemandem zu sagen.
(Hier zum besseren Überblick der Link zu einer sogenannten Evangelien-Synopse, also einer Zusammenschau der Evangelien: http://www.amen-online.de/bibel/synopse/14-petrusbekenntnis_und_verklaer...)

Man geht davon aus, dass das Markusevangelium das älteste ist und dass Matthäus und Lukas das Markusevangelium kannten und für ihre Evangelien benutzten. Manchmal haben die beiden Textpassagen gemeinsam, die bei Markus nicht vorkommen. Das lässt auf eine gemeinsame zusätzliche Quelle schließen. Wenn aber – wie in diesem Fall – einer der beiden eine Textpassage hat, die sonst nirgends vorkommt, dann ist sie häufig von ihm selbst. Das nimmt man auch in diesem Fall an. Der Evangelist Matthäus trägt hier also seine eigene Theologie in den Text ein – und das ist eine, die den Apostel Petrus bereits geradezu für den „Apostelfürsten“ hält.

Damit schauen wir uns das Bild an, das man sich im Christentum nach dem Tod des Petrus von diesem machte. Er hat sich schnell zu dem obersten Apostel durchgesetzt. Schon zu seinen Lebzeiten gab es Konkurrenzen – zum Beispiel zu Paulus -, der feststellen musste, dass dieser „Erstberufene“ und „erste Osterzeuge“ populärer war als er. Aus dem „Edelstein“ war mittlerweile tatsächlich der „Grundstein“ geworden. Petrus galt als der wichtigste, der Anführer der Apostel. Diesen Ruf ist er nie wieder losgeworden.

Petrus, der Schlüsselmeister
Wie bereits erwähnt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Worte von Fels und Schlüssel tatsächliche Jesus-Worte sind. Sie sind wahrscheinlich ein Nachtrag des Evangelisten Matthäus, der dem Petrus eine besondere Führungsrolle zusprechen wollte. Das spielt allerdings überhaupt keine Rolle, wenn man sich ansieht, was aus diesem Wort alles wurde: Das Papsttum, die Beichte, ja selbst der Ablasshandel und die Vorstellung von Petrus, der einen am Himmelstor empfängt und entscheidet, ob man denn nun hinein darf oder nicht – all das beruft sich auch auf diese Textstelle. Das geht so weit, dass man Petrus zum Wettermacher machte, weil er ja schließlich den Himmel auf- und abschließen kann.

Was ist ursprünglich gemeint? Zunächst ist festzustellen, dass Jesus Matthäus zufolge diese „Schlüsselgewalt“ auch allen Jüngern zuspricht. In Mt 18,18 heißt es: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Das könnte in der Tat bereits von Matthäus so verstanden worden sein, dass Jesus den Jüngern die Macht gab, Sünden zu vergeben. Hier lohnt sich ein Blick ins Johannesevangelium, in dem Jesus sagt (Joh 20,23): Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Allerdings ist das Wort hier wie auch in Mt 18,18 eben an alle Jünger gerichtet – nicht allein an Petrus. Es könnte sein, dass Jesus tatsächlich allen seinen Jüngern oder zumindest den Zwölfen die Macht verlieh, Sünden zu vergeben. In der frühesten Geschichte der Kirche ist dies aber schnell auf Petrus allein zugespitzt worden.

So, das sind meine Ausführungen zu Mt 16,18f. Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein paar befriedigende Antworten liefern. Ich weiß, dass ich mich hier auf einem Terrain bewege, auf dem viele lose Steine liegen, die nur darauf warten, losgetreten zu werden und Lawinen auszulösen. Mal sehen …

Herzliche Grüße
Frank Muchlinsky

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