Wie vergibt Gott auf evangelisch?

Angi

Liebes Fragen-Team,

ich frage mich, unter welchen Bedingungen und „in welchem Setting“ Gott Schuld vergibt. Ich bin in einer Kirche aufgewachsen, in der bestimmte Geistliche zumindest früher als heilsnotwendig, heutzutage „nur noch“ als heilsvermittelnd angesehen werden. Aus dieser Kirche kenne ich es so, dass man gemeinsam im Gottesdienst das Vater Unser betet, dort um Vergebung der Schuld bittet und anschließend durch einen Geistlichen die Vergebung zugesprochen bekommt. Ohne diese Zusprache vergibt Gott keine Schuld - so habe ich es zumindest gelernt. Zusätzlich setzt die Vergebung (natürlich) noch Reue voraus.

Was ist, wenn ich Reue empfinde und im persönlichen Gebet meine Schuld vor Gott bekenne? Vergibt er mir dann? Oder benötige ich eine vermittelnde Person? Falls ja, inwiefern würde die Notwendigkeit einer vermittelnden Person in evangelischen Gottesdiensten berücksichtigt werden?
Grob zusammengefasst frage ich mich also, wie Vergebung (von Gott) aus evangelischer Perspektive funktioniert.

Ich danke Ihnen schon mal vorab für Ihre Antwort und wünsche Ihnen eine besinnliche Adventszeit!
Viele Grüße,
Angi

Liebe Angi,

zu der schönen Frage könnte man sehr lange Aufsätze schreiben. Aber ich werde versuchen, mich kurz zu fassen. Das Wichtigste am christlichen Verständnis von der Sündenvergebung ist, dass Gott sie den Menschen aus Gnade geschenkt hat. Gottes Gnade führt zum Glauben und ein gläubiger Mensch kann erkennen, dass Gott uns in Jesus Christus die Sünden vergibt. So weit die Theorie in aller Kürze. Nun zur Praxis. Christenmenschen dürfen einander die Sünden vergeben. Das geht zurück auf die Worte Jesu, wie sie im Johannesevangelium überliefert sind. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten.“ (Johannes 20,23)

Von daher könnten Sie sich ihre Sünden von jedem anderen Christenmenschen vergeben lassen. Allerdings ist diese „Vollmacht“ der Sündenvergebung in vielen Kirchen den Geistlichen übertragen worden. Die katholische Kirche nimmt das besonders streng, aber auch die evangelische Kirche sagt, dass das „Bußsakrament“, also das, was man gemeinhin „Beichte“ nennt, von ordinierten Menschen erteilt werden soll. Ganz praktisch sollte das im Abendmahlsgottesdienst geschehen. Zur Liturgie des Abendmahls gehörte in der evangelischen Kirche lange Zeit auch ein Schuldbekenntnis der Gemeinde. Mittlerweile wird das Abendmahl in den allermeisten Gemeinden ohne dieses Sündenbekenntnis gefeiert. Stattdessen wird darauf vertraut, dass die Teilnahme am Abendmahl selbst die Sünden vergibt. Das ergibt ja auch Sinn, denn es wird im Abendmahl immer darauf hingewiesen, dass Gott durch Jesus Christus den Menschen die Sünden vergeben hat. So heißt es in den Einsetzungsworten: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden."

Auch die Taufe ist natürlich ein Akt der Sündenvergebung, denn hier bekennt sich ja ein Mensch (oder stellvertretend seine Eltern) zu Jesus Christus. Überhaupt steckt in jedem Sprechen des Glaubensbekenntnisses ein Akt, der zur Sündenvergebung führt, denn – wie oben geschrieben – der gläubige Mensch kann erkennen, dass Gott ihm die Sünde vergibt. Letztendlich ist es das, was auch ein Priester den Gläubigen zuspricht: Gott vergibt dir.

Reicht es also, im Stillen mit Gott ins Reine zu kommen? Letztlich nein. Selbst wenn man sehr ehrlich zu sich selbst ist, so hilft es doch wesentlich mehr, ein Gegenüber zu haben, das nachfragt und das uns irgendwann zusagt: „Dir ist das vergeben!“ Wie „funktioniert“ also Gottes Vergebung aus evangelischer Sicht? Antwort: Die Vergebung ist längst geschehen, und wir können einander immer wieder daran erinnern und einander Vergebung zusprechen.

Herzliche Grüße!

Frank Muchlinsky

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