Warum ließ Gott meine kleine Schwester sterben?

Michelle
Kinderengelsfigur auf einem Grab
epd-bild/Norbert Neetz

Hallo Frau Klee,

seitdem ich vor ca. 4 Jahren konfirmiert wurde, bin ich schon sehr gläubig. Ich glaube an Gottesgnade und Liebe. Außerdem glaube ich, dass er für jeden einen Plan hat und ich bin immer überzeugt davon gewesen, dass Gott mich behütet egal was passiert. Dann habe ich letztens mit meiner Mama geredet und dann hat sich herausgestellt, dass sie daran zweifelt, dass es einen Gott gibt… Als ich vier Jahre alt war, ist meine jüngere Schwester verstorben, was meine Mutter natürlich ziemlich fertig macht. Sie hat es uns nie gezeigt, aber mittlerweile bin ich in einem Alter wo wir uns gegenseitig helfen und nicht nur sie mir. Sie hat gesagt, sie fragt sich wieso, wenn es einen Gott gibt, er ihr eines ihrer Kinder so früh genommen hat oder was sie getan hat, dass sie das verdient hat, mit einem so schlimmem Schmerz bestraft zu werden.

Ich weiß, dass viele Menschen so ein Schicksal erleiden müssen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht erklären warum Gott meinen Eltern die Tochter und meinen Geschwistern und mir die Schwester genommen hat. Als meine Schwester verstorben ist und ich noch klein war, hat meine Mama gesagt, Gott bräuchte noch mehr Engel im Himmel. Mit der Antwort war ich zufrieden, aber das ist sinnlos. Denn Gott schenkte ihr das Leben, vielleicht dachte er, dass es kurz sein soll, aber er hätte doch wissen müssen, dass das großen Schmerz bei vielen Personen verursacht. Na ja…seitdem Gespräch weiß ich nicht genau, wie ich mir das erklären kann. Ich weiß, dass „die Wege des Herrn unergründlich“ sein sollen, aber wie kann ich auf ihn vertrauen, wenn ich nicht verstehe was er mir sagen will? Ich hoffe, Sie verstehen was ich meine und können mir irgendwie helfen.

Dankeschön im Voraus! Liebe Grüße!

Liebe Michelle,

es tut mir wahnsinnig Leid, dass deine kleine Schwester in so jungen Jahren gestorben ist. Ich kann mir vorstellen, dass das für deine Eltern, deine Geschwister und dich unglaublich schmerzhaft gewesen sein muss. Das Tod des eigenen Kindes zu verarbeiten ist unglaublich hart. Und auch, die eigene Schwester zu verlieren, ist erschütternd. Selbst, wenn du damals noch klein warst, wird dich dieses Erlebnis sicherlich geprägt und begleitet haben. Deine Mutter hat das gut gemacht, dich da zu begleiten und ihren eigenen Schmerz auszuhalten.

Die Frage, die du stellst, ist die eine, die große Frage an Gott. Warum lässt Gott das zu? Wie kann er soviel Schmerz und Leid zulassen? Warum müssen geliebte Menschen - und erst recht Kinder - viel zu früh sterben? Das sind Fragen, die sich Menschen schon seit Jahrhunderten gestellt haben.

Es gibt ein ganzes Buch der Bibel, dass sich mit dieser Frage beschäftigt: Hiob. Hiob verliert alles. Seine Kinder, seinen Besitz, sein Haus - und sogar seine Gesundheit. Seine Freunde überlegen, wie es dazu kommen konnte. Was hat er nur getan? Hat er das verdient? Wurde er von Gott bestraft? So richtig gibt es keine Antwort auf diese Fragen. Es ist auf jeden Fall nicht Hiobs Schuld, dass ihm dieses Unglück zugestoßen ist. Er hat überhaupt nichts falsch gemacht. Am Ende des Buches ist nur klar, dass Hiob trotzdem weiterhin an Gott glaubt. Auch wenn Hiob nicht alles versteht.

Auch viele Philosophen sind der Frage nachgegangen, warum Gott soviel Leid und Schmerz zulässt. Ganze Bücher werden zu dieser Frage geschrieben. Ein persönliches Buch hat Esther Maria Magnis geschrieben. Es heißt "Gott braucht dich nicht". Als sie 17 Jahre alt war, starb ihr Vater an Krebs. Und einige wenige Jahre später ihr jüngerer Bruder, ebenfalls an Krebs. Im Buch fragt sie sich dieselben Fragen, die du dir stellst. Sie kommt am Ende zu dieser Antwort:

"Aber ich glaube eben nicht daran, dass Gott bloß ein abstrakter, unsichtbarer, ätherischer Gedanke ist [...] Denn ich komme aus keinem unschuldigen Land. Ich bin nicht mit einem sauberen Kaiserschnitt in die Welt geholt worden, sondern auf diese ziemlich gestörte, natürliche Art mit Tränen, Schweiß und Blut, und ich habe als Kind den Mohn auf den Feldern meiner Heimat nicht nur betrachtet, ich habe nach ihm gegriffen, ihn zwischen Hand und Lenkrad gequetscht und versucht, ihn zu besitzen. [...] Meine Gebete waren randvoll mit Erde, mit Freude und Achselschweiß und Leid und Stuss und Langeweile. Ich glaube nicht an den göttlichen Funken in mir, der glitzernd aus der dunklen Welt heraus zum großen Licht hinbetet und dahin befreit werden will und sich wünscht, endlich erlöst zu sein von allem, was berührt werden kann. Ich gehöre zur berührbaren Wirklichkeit. Und dass durch die Wirklichkeit ein Riss geht, dass die Wirklichkeit dieser Welt auch ganz schön geschrottet und pervers ist, das kann ich nicht ändern. Auch nicht, indem ich mich von ihr distanziere. Ich gehöre dazu. Und mit dieser Einsicht endete mein Alleingang im Glauben. Denn ich verstand, dass mein Spatzenhirn nicht ausreichte, um Gott ganz neu und klar und reinzudenken und eine vollkommen saubere neue Glaubensweise zu entwickeln.”

Es gibt leider nicht die eine Antwort darauf, warum dir und euch das passiert ist, was passiert ist. Dass deine Schwester gestorben ist, bleibt schrecklich. Es gibt nichts, was ihr hättet besser oder anders machen können. Ihr habt nichts falsch gemacht. Es ist nicht eure Schuld. Und ihr habt das auch nicht verdient. Es ist und bleibt einfach unerklärlich.

Dass dieses Erlebnis den Glauben deiner Mutter erschüttert – und auch deinen – finde ich absolut nachvollziehbar. Ich habe für mich persönlich entschieden, dass ich trotzdem an Gott glauben will. Trotz Schmerz, trotz Leid, trotz Tod. Weil mir der Glauben an Gott - trotz allem - Hoffnung gibt. Weil mir dieser Glaube sagt: Es ist eben nicht sinnlos. Gott sieht, dass ich leide, dass ich trauere. Und er gibt mir die Kraft, das auszuhalten. Er ist steht das mit mir durch. Und ich kann durch ihn diese Welt zu einer besseren machen. Durch meine Fähigkeiten und Gaben.

Auch wenn das sicher nicht die Antwort war, die du dir erhofft hast, so wünsche ich dir und euch von Herzen alles Gute. Ich hoffe, dass ihr als Familie gut zusammen haltet und auch allen zukünftigen Herausforderungen trotzt. Ich bin mir sicher, dass du deinen Weg gehen wirst. Ich wünsche dir allen Segen dazu.

Johanna Klee

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