Wann, lieber Gott, bist du eigentlich lieb?

Wolfgang
verzweifelter Mann in der Kirche
Samuel Martins / Unsplash

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

 

Täglich sterben Männer, Frauen und Kinder bei einem schweren Verkehrsunfall, häuslichen Unfällen, an Krankheiten, an Misshandlungen.

Täglich gehen etliche Partnerschaften in die Brüche.

Täglich wird betrogen, belogen. Es ist egal, ob es durch die Banken geschieht oder durch andere dubiose Geschäftemacher.

In einem Jahr nehmen sich Menschen aus unterschiedlichsten Gründen das Leben.

Täglich sterben Menschen bei Auseinandersetzungen im Krieg oder Banden.

Täglich müssen hunderte von Kindern elend verhungern.

In der Vergangenheit wurden Menschen bei der Inquisition, der Hexenverfolgung und der Judenverfolgung hingerichtet und vorher bestialisch gefoltert.

Nicht mal vor Misshandlungen und Vergewaltigungen waren Kinder geschützt.

 

Da hat ein Gott tatenlos seit 2000 Jahren zugesehen, kein Mitleid, kein Gebot des Einhaltens, kein persönliches Erscheinen.

 

Immer wenn die Menschen einen Gott brauchten war er nie da. Ich habe große Zweifel an dessen Existenz.

 

Also, die Frage an den Experten:

 

Wann, lieber Gott, bist du eigentlich lieb?

Lieber Wolfgang,

 

ich kann verstehen, dass Sie angesichts all der schlimmen Dinge, die Sie aufzählen, ins Grübeln kommen. Ich begrüße es sogar ausdrücklich! Es wäre ja auch im wahrsten Sinne zynisch, über das viele Leid in unserer Welt, nicht immer wieder innezuhalten und zu fragen: Warum nur muss das so sein?

Was Sie da aufzählen, lässt mich ebenso zweifeln, wir Sie. Allerdings zweifle ich deswegen nicht an Gott, sondern vielmehr an den Menschen. Wie kann es sein, dass wir so miteinander umgehen, dass wir andere Menschen ausbeuten, verhungern lassen, dass wir so rücksichtslos sind, dass wir andere Menschen verfolgen, sie töten, sei es im Straßenverkehr oder durch Kriege?

 

Sie schreiben, dass Gott seit zweitausend Jahren nicht mehr "persönlich erschienen" ist. Da stimme ich Ihnen zu. Doch haben wir sehr wohl Gottes vollkomme klare Anweisungen, dass wir sehr wohl gut miteinander umgehen sollen. Das Zeugnis des christlichen Glaubens, die Bibel, ist voll mit ganz klaren "Geboten des Einhaltens", wie Sie sie einfordern. Gott hat sich eingemischt. Er hat sich, so bekennt das Christentum, so sehr eingemischt, dass er selbst Mensch wurde und all das Schlimme erlitten hat, was Menschen erleiden. Mehr Mitleid (im Wortsinn) geht gar nicht.

Aber der christliche Glaube vertritt nicht die Ansicht, Gott müsse das immer wieder tun. Unser Gott hat den Menschen geschaffen und ihm die Freiheit gegeben. Diese Freiheit nützt der Mensch nicht nur zum Guten, aber das bedeutet nicht, dass Gott uns die Freiheit wieder nehmen würde.

 

Bitte fragen Sie sich einmal, was die Konsequenz wäre, wenn Gott tatsächlich so wäre, wie Sie ihn fordern. Wir müssten in ständiger Angst und Unfreiheit leben. Soll ein Hersteller eines Autos, das so schnell fährt, dass es einen anderen Menschen tötet, tot umfallen? Soll es der rücksichtslose Fahrer? Sollen Partnerschaften nicht mehr "in die Brüche gehen" können, weil Gott es einfach nicht mehr zulässt?

Gott zeigt seine Liebe zu uns, indem er uns das Leben und die Freiheit schenkt. Er zeigt uns seine Liebe, indem er uns auffordert, unser Leben verantwortungsvoll zu gestalten, nicht indem er das für uns tut.

 

Ich grüße Sie herzlich.

Frank Muchlinsky

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