Hallo zusammen,
obwohl ich atheistische Eltern hatte, bin ich recht religiös aufgewachsen. Mein Glaube war zentraler Bestandteil meines jungen Lebens, ich war Ministrant und in der katholischen Jugendbewegung engagiert. Als junger Erwachsener musste ich schließlich aus der (katholischen) Kirche austreten, da mir dort – als offen homosexuell lebender Mensch – ein gehöriges Maß Gegenwind entgegenschlug. Diese Ablehnung wurde Ende der 1990er Jahre in der katholischen Kirche noch viel unverblümter formuliert, als dies heute der Fall ist. Dies hat mich sehr verletzt und mit dem Austritt habe ich mich seinerzeit enttäuscht auch komplett von Gott abgewandt. Ich kann nur hoffen und dafür beten, dass er mir dies verzeihen möge.
Nach 25 Jahren ohne Kirche und ohne Glauben fühle ich in letzter Zeit sehr deutlich, dass da etwas fehlt in meinem Leben. Deshalb habe ich begonnen, wieder regelmäßig Gottesdienste hier in Leipzig zu besuchen. Da sich die Haltung der katholischen Kirche (meiner Meinung nach) nicht wesentlich geändert hat, habe ich meine Besuche ausschließlich auf evangelische Gottesdienste beschränkt.
Nun würde ich gerne in die evangelische Kirche eintreten, was in der Praxis kein Problem darstellen sollte. Aber ich bin zunehmend verunsichert, was die Akzeptanz von Homosexualität angeht. Zwar habe ich viele Ihrer Antworten zum Thema gelesen und kenne auch die "offizielle" Haltung der EKD. Nun scheint es aber bei den Protestanten so zu sein, dass schlussendlich doch jede Gemeinde diesbezüglich machen kann, was sie will. Hinzu kommt eine für mich unüberschaubare Anzahl an Untergruppen der evangelischen Kirche (plus zahlreiche Freikirchen), mit teils noch konservativeren Ansichten, als die der katholischen Kirche.
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die evangelische Landeskirche Sachsen zudem noch ein spezieller Fall, was dieses Thema angeht.
Meine konkrete Frage lautet: Wie finde ich hier in Leipzig eine evangelische Gemeinde, in der LGBTQ-Menschen willkommen sind (von Akzeptanz rede ich in diesem Zusammenhang nur ungern). Ich möchte natürlich nicht vom Regen in die Traufe kommen.
Ich weiß aktuell nicht, wie ich das herausfinden kann. Ich kann mich ja schlecht im Gottesdienst auf die Kanzel stellen und fragen, ob irgendjemand ein Problem mit mir hat. 😆
Haben Sie einen Tipp für mich?
Beste Grüße und vielen Dank
Chris
Lieber Chris,
wie schön, dass Sie in die evangelische Kirche eintreten wollen! Sie liegen mit Ihrer Einschätzung durchaus richtig. Die evangelische Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich über die einzelnen Kirchengemeinden definiert. Das ist im Grunde einer der Hauptunterschiede zur römisch-katholischen Kirche und durchaus gewollt. Zunächst ging es vor allem um Unabhängigkeit von Papst und Kaiser, mittlerweile ist es hauptsächlich ein Zeichen für die Vielfalt in den evangelischen Kirchen. Es gibt weiterhin die Landeskirchen, die ebenfalls ein Kind der Reformation in Deutschland sind. Die Landeskirchen bestimmen die grundsätzlichen Ausrichtungen auf ihrem Gebiet. Das tun sie auf dem Boden der altkirchlichen und der reformatorischen Bekenntnisse. Ihre Parlamente (Synoden) beschließen Gesetze, an die die einzelnen Gemeinden sich halten sollen. Das lässt in der Regel noch eine Menge Freiraum für die Gemeinden vor Ort.
So kommt es, dass die EKD (also die Bundesebene der evangelischen Kirchen) andere Dinge sagen und schreiben kann als die Landeskirchen. Die wiederum können anders klingen als die Gemeinden vor Ort und die Pfarrleute können noch einmal anders klingen, weil sie auch noch ihrem eigenen Gewissen verpflichtet sind. Wie gesagt, das bedeutet nicht, dass alles beliebig ist. Es zeigt sich lediglich, dass in verschiedenen Zusammenhängen die gemeinsamen Quellen unterschiedlich ausgelegt werden.
Nun aber zu Ihrer konkreten Frage. Ich habe ein wenig herumgefragt, und ich habe von mehreren Seiten die Empfehlung bekommen, dass Sie in der Leipziger Bethlehemkirchengemeinde sehr herzlich willkommen sind. Ich wünsche Ihnen alles Gute und dass Sie diesen Schritt tatsächlich gehen mögen!
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky
P.S. Die Idee, dass ein neues Gemeindeglied auf die Kanzel steigt, sich etwas genauer vorstellt und dann fragt: "Habt Ihr ein Problem mit mir?" finde ich ausgesprochen reizvoll. Die Gemeinde könnte mit einem laut gerufenen "So wahr uns Gott helfe: Nein!" antworten. 😊