Hallo, ich habe eine Frage zur Mitte des evangelischen Glaubens, nämlich der Rechtfertigungslehre: Mir gefällt die radikale Rechtfertigungslehre Luthers sehr: Ich muss Gott nichts beweisen, meine Taten sind losgelöst vom Heil, weil dieses allein durch Gnade geschenkt wird. Und weil Gott für mich im Glauben alles getan hat, kann ich für meinen Nächsten nicht genug tun. Ich finde das toll, aber es ist die Frage, ob diese Sicht tatsächlich die Mitte der Bibel darstellt. Albert Schweitzer bezeichnete diese Rechtfertigungslehre als "Nebenkrater" der Erlösungslehre im NT (Die Mystik des Apostel Paulus, S.220), hinzukommt, dass der von Paulus angesprochene Gegensatz von Glauben und Werk (Röm 3, 20 oder Gal 3,2) durchaus sich eher auf die Gesetzesreligion des Alten Bundes bezieht und dass der Neue Bund mit Christus wichtiger ist, aber er bezieht sich nicht auf die Glaubenspflichten für Christen. In Röm 2, 7-13 oder Kol 1, 10 werden die guten Werke als besonders wichtig herausgestellt und fast als heilsnotwendig angesehen. Errinnern wir uns an die Mahnung, dass Räuber, Knabenschänder etc. nicht in den Himmel kommen können (1. Kor 6,9) oder an Jesus in Matt 25, da klingt Jesus nicht besonders nach: "Allein aus Gnade". "Was Ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, dass habt ihr mir geTAN." wird oft zitiert, aber es geht weiter und er thematisiert, was mit denen passiert, die dies eben nicht tun. Luther hat Röm 3,28 besonders in den Mittelpunkt gerückt und es ist doch zur protestantischen Tradition geworden, alles unter diesem Licht zu betrachten. Das ist das gute Recht Luthers und seiner Anhänger, aber ob es wirklich die Mitte des Glaubens ist, weiß ich nicht, auch wenn ich die Rechtfertigungslehre immer noch grandios finde. Wie gut begründet ist denn die Rechtfertigungslehre, die ja z.B. der lutherischen Ethik (religiöse Selbstrelativierung und allgemeine Verständlichkeit, um der Weltlichkeit der Welt gerecht zu werden) zugrunde liegt und damit eine, im Vergleich zu anderen religiösen Ethiken, besondere Ethik ist, da das Handeln (und damit die Ethik) vom jenseitigen Heil losgelöst ist. Sie haben neulich eine sehr schöne Antwort auf die Frage nach Himmel und Hölle gegeben, aber da haben Sie geschrieben "(...) es geht darum, was Menschen TUN" - aber es geht aber doch gerade nicht um unsere Taten in der Welt, sondern um die Gnade und den Glauben. Beste Grüße Tobias
Sicher geht es um Gnade und Glauben ... Gnade ist's und weiter nix! Ja!! - aaber! (Wenn man etwas schon mit "ja, aber" beginnt :-) )
Und Quintessenz der Rechtfertigungslehre ist, dass ich nichts machen kann um mein Heil zu erfahren, sprich: gerechtfertig zu sein. Gott macht und spricht mich gerecht.
Die Rechtfertigungslehre legt ihren Schwerpunkt darauf: Mach dich nicht fertig, Mensch, denke nicht, Du seist ein schlechter Mensch, wenn Dir etwas missglückt. Gott liebt Dich - Mensch.
Ein guter Baum bringt gute Früchte hervor. So ist das mit den Taten.
Glaubt ein Mensch, fließen automatisch aus ihm guten Taten.
Aber, ja, sicher nicht immer nur andauernd und permanent. Da gibt es Versagen, Tränen, Wut auch - ein Mensch enttäuscht andere Menschen. Und da greift die göttliche Vergebung und die Rechtfertigungslehre:
Mensch, Du bist gerecht vor Gott.
Alles Liebe,
Sabine Löw