Guten Abend,
im Zuge meiner Beschäftigung mit der Reformation kam mir die Frage:
M Luther, der ja sehr unter der Vorstellung des Teufels und der Hölle "gelitten" hat, bis er den gnädigen Gott für sich gefunden hat, hat am Ende seiner Erkenntnis die Vorstellung der Hölle verworfen. In Schriften bis zum 18 Jh jedoch finden sich immer wieder Abhandlungen zum Thema Hölle. Wann hat die evangelische Kirche sich ganz offiziell von der Vorstellung der Hölle und des Fegefeuers verabschiedet? Die Katholische Kirche kennt Fegefeuer und Hölle ja heute noch, wir Protestanten haben uns aber distanziert.
Danke für die Infos.
Liebe Simone,
wenn man es genau nimmt, hat die evangelische Kirche die Hölle bis heute nicht "abgeschafft". Die Vorstellung vom Fegefeuer als dem Ort, an dem die Seelen der Verstorbenen geläutert werden, ist zwar bereits von den Reformatoren verworfen worden, aber die Hölle ist etwas anderes. Sie gilt als der Ort der ewigen Strafe für die Gottlosen. So steht es im Augsburger Bekenntnis, das bis heute für die evangelische Kirche Gültigkeit hat:
ARTIKEL 17: VON DER WIEDERKUNFT CHRISTI ZUM GERICHT
Auch wird gelehrt, dass unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tag kommen wird, um zu richten und alle Toten aufzuerwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude zu geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.
Deshalb werden die verworfen, die lehren, dass die Teufel und die verdammten Menschen nicht ewige Pein und Qual haben werden.
"Offiziell" gibt es also die Hölle noch als den Ort, an den diejenigen kommen, die im Jüngsten Gericht nicht bestehen werden. Ob man also an eine Hölle glaubt oder nicht, entscheidet sich an der Frage, ob man an den sogenannten "zweifachen Ausgang des Gerichtes" glaubt, oder ob man an die "Allversöhnung" (Apokatastasis) glaubt. Für beide theologische Richtungen gibt es gute biblische Gründe. Immerhin wird von Jesus in der Bibel durchaus deutlich davon erzählt, dass im Jüngsten Gericht "die Schafe von den Böcken getrennt" werden. (Mt 25,33). Andererseits spricht Paulus an mehreren Stellen davon, dass Gott sich aller Menschen erbarmen wird. (Röm 11,32, Kol 1,15-20 und Eph 1,10). Der "Mainstream" hat während der Kirchengeschichte meistens an der Vorstellung vom doppelten Ausgang des Gerichts festgehalten. Während zum Beispiel Origenes im 3. Jahrhundert noch die Allversöhnung vertrat, hat Augustinus sie im 5. Jahrhundert verworfen, und der doppelte Ausgang des Gerichts wurde im 6. Jahrhundert zur allgemeinen Kirchenlehre.
Die Allversöhnung wurde immer wieder von verschiedenen Theologen begründet und gelehrt. In der Folge der Reformation wurde sie vor allem in pietistischen Kreisen diskutiert. Allerdings wurde auch hier betont, dass es sich nicht um eine offizielle Meinung handele. Seit dem 20. Jahrhundert kritisieren Theologen sowohl der evangelischen wie der katholischen Kirche die schlichte Übernahme der Vorstellung, dass die Hölle ein Ort der Qualen sei. Sie weisen darauf hin, dass die Bibel in Bildern spricht und nicht alles wortwörtlich verstanden werden will. Die katholische Kirche beschreibt die Hölle darum mittlerweile auch offiziell anders: Im Kathechismus der römisch-katholischen Kirche heißt es: "In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluß für immer von ihm getrennt zu bleiben. Diesen Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen nennt man 'Hölle'." (Katechismus der kath. Kirche, Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Dritte Kapitel, Artikel 12, IV). Hölle ist also die selbst gewählte Gottesferne. Sie ist mehr ein Zustand als ein Ort.
Evangelische Theologinnen und Theologen des 20. und 21. Jahrhunderts gehen einen ähnlichen Weg. Manche denken auch über eine Allversöhnung nach. Interessanterweise scheuen sie sich aber, daraus eine Lehre zu machen. Das Augsburger Bekenntnis wird nicht angetastet. Mittlerweile gibt es aber immer mehr Theologen, die die Allversöhnung lehren und predigen. Dabei berufen sich die Befürworter vor allem auf die unendliche Güte und Barmherzigkeit Gottes, die unser Verstehen übersteigt, und über die wir auch nicht verfügen können.
Gegner der Allversöhnungslehre führen an, dass die Verantwortung jedes einzelnen Menschen nicht ernst genug genommen wird, wenn man davon ausgeht, dass letztlich ohnehin alle Menschen mit Gott versöhnt werden.
Sie sehen: Die Hölle ist nicht abgeschafft, aber die Vorstellung von ihr hat sich gewandelt, und außerdem wird sie immer wieder diskutiert.
Einen herzlichen Gruß sendet
Frank Muchlinsky