Die sog. "Jungfrau" Maria - Jes 7,14

Jens Nitschkowski

Liebe Frau Heu,

vielen Dank zunächst für die Beantwortung meiner Frage von November. Und bevor ich zu meiner neuen Frage komme, wünsche ich Ihnen ein gutes und gesegnetes Neues Jahr 2019.

Meine heutige Frage betrifft das Apostolicum. Dort beten wir, Evangelische und Katholische, "geboren von der Jungfrau Maria". Nun ist aber bekanntlich die alttestamentliche Stelle Jes 7,14 in der LXX unzutreffend übersetzt: Aus der ursprünglichen "jungen Frau" wurde eine "Jungfrau". Da nun Luther bei seiner Bibelübersetzung auf die hebräischen Urtexte zurückgegriffen hat, müßte es doch eigentlich in einem evangelischen Credo "geboren von der jungen Frau Maria" heißen. Wieso wird dennoch der zutiefst katholische Marienkult (den ich persönlich nicht mag) im Apostolicum bei den evangelischen Gottesdiensten beibehalten?

Herzliche Grüße,
Jens Nitschkowski

Lieber Herr Nitschkowski, 

 

vielen Dank für Ihre weitere Frage. Sie haben sehr gut beobachtet, dass wir im Apostolicum fälschlicherweise statt von der "jungen Frau" von der "Jungfrau" Maria sprechen. Dazu müssen wir uns zweierlei vor Augen führen: 1. die Rezeption von Jes 7,14 (vor allem bei Mt) und 2. die Entstehung des Apostolicums.

Nun zu 1.: In Jes 7,14 finden wir in der Tat eine Ankündigung, die wir aus einer christlichen Perspektive christologisch deuten. Das heißt aber nicht, dass das die einzig mögliche Deutung ist. Im jüdischen Kontext liest man Jes 7,14 keinesfalls auf Jesus Christus gedeutet, sondern als Ankündigung des Messias, auf den im Judentum bis heute gewartet wird. Natürlich ist es im christlichen Kontext Gang und Gebe Jes 7,14 christologisch zu deuten, trotzdem ist es für uns nicht zentral, ob in der hebräischen Bibel von einer jungen oder von einer Jung-Frau die Rede ist. Denn die Frohe Botschaft, die von einer ungewöhnlichen Geburt des Heilandes spricht, lesen wir vor allem im Neuen Testament. Dort verwendet Mattäus im griechischen Original tatsächlich den Begriff "parthenos", was wir im Deutschen mit "Jungfrau" übersetzen. Der griechische Begriff ist hier eindeutiger als der hebräische Begriff. Wir können also feststellen, dass Mt sich auf Jes 7,14 bezieht (je nach Bibelausgabe ist die Verknüpfung dort auch markiert) und in der Geburt Jesu diese Prophezeihung Jesajas erfüllt sieht. Lassen sie mich dazu Silke Petersen zitieren, die Neutestamentlerin an der Universität in Hamburg ist (aus: wibilex.de): 

Im hebräischen Text von Jes 7,14 steht ein Ausdruck, der eine junge Frau bezeichnet, den die Septuaginta [(LXX)] und dann auch Mt 1,22 mit ἡ παρθένος wiedergeben. Dieser Ausdruck kann eine „Jungfrau“ (im biologischen Sinne) bezeichnen, muss es aber nicht. Zudem ist uneindeutig, auf welchen Zeitpunkt sich das Jungfrau-Sein Marias bezieht: Es wird nicht explizit gesagt, dass die Jungfrau auch noch Jungfrau ist, nachdem sie schwanger wurde. Das Zitat will nicht biologische Tatsachen erklären, sondern die Umstände der Geburt Jesu als göttlich gewirkt darstellen und die erzählte Geschichte damit in einen Kontinuitätszusammenhang mit der Geschichte Israels stellen (zu göttlichen Erscheinungen vor der Geburt bedeutender Persönlichkeiten vgl. Gen 17,15-22; Gen 18,10-15; Gen 25,21-24; Gen 28,12-16; Ri 13).

 

Nun zu dem 2. angekündigten Punkt - die Entstehung des Apostolicums bzw. vielmehr der Grund, warum das Apostolicum auch für uns Lutheraner bis heute eine wichtige Rolle spielt: Es lassen sich allgemeinhin drei überzeugende Gründe finden, warum das Apostolicum auch nach der Reformation, also für die Protestantinnen und Protestanten von großer Bedeutung war. Diese drei Gründe überschneiden sich teilweise und spielen ineinander. 

1. Da das Apostolicum vor allem katechetisch verwendet wurde, hatte es volkstümlich große Beliebtheit erfahren. D.h., dass es das einfachste der drei altkirchlichen Bekenntnisse war und dass viele Menschen sich am ehesten damit identifizierten. Auch Luther übernahm das Apostolicum in seinen kleinen Katechismus - dort steht übrigens auch "Jungfrau Maria", anstelle von "junge Frau". 

2. Die Übernahme der altkirchlichen Bekenntnisse symbolisiert außerdem, dass auch die protestantischen Gemeinden sich in der Kontinuität der einen Kirche verstehen. Gemeinden, die aus der Reformation hervorgehen, verstehen sich also nicht als Sekte oder Abspaltung von der Kirche, sondern spiegeln Luthers Intension wider; nämlich die Kirche, wie Luther sie kannte, zu reformieren, nicht zu spalten. 

3. Das Apostolicum hat auch liturgisch eine große Karriere gemacht, wenn man so will. Denn es war fest verankert in den gottesdienstlichen Abläufen der Kirche. Es zu ändern, hätte Irritationen und Konflikte hervorgerufen.  

Man kann also sagen, dass sich Luther wohl der Fehlübersetzung in der LXX bewusst war, sich aber aus Kontinuitätsgründen trotzdem an die Bekenntnisse der alten Kirche, die sich den Übersetzungsproblem womöglich (noch) nicht bewusst war, hielt. 

Ihre Skepsis bzgl. des Marienkults kann ich gut nachvollziehen. Ich möchte Ihnen aber nochmals die Worte von Silke Peters ans Herz legen, wenn sie schreibt, dass es nicht darum geht biologische Tatsachen zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern dass wir die Besonderheit der Geburt Christi festhalten und zum Ausdruck bringen. Lassen Sie sich also darauf ein, den Fokus von der Mutter auf das Kind hin zu lenken. Es lohnt sich! 

Ihnen alles Gute, 

Pia Heu 

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