Lieber Hr. Muchlinsky,
mein Sohn (9) hat mir eine Frage gestellt die ich ihm leider nicht überzeugend beantworten konnte.
Kurz vorab: Ich gehöre dem Buddhismus an, mein Mann und mein Sohn sind Christen. Ich erklärte meinem Sohn vor Kurzem, dass es auf der Welt Gutes sowie Böses gibt und letztendlich alles im Zusammenhang steht und im Gleichgewicht ist. (Kurzversion)
Mein Sohn fragte mich: wenn ich für kranke Menschen bete und Gott meine Gebete erhört und meine kranke Tante dann durch die Gebete gesund wird, passiert dann einem anderen Menschen etwas schlechtes, denn du Mama hast ja gesagt, dass alles immer im Gleichgewicht steht. Durch meine erhörten Gebete würde ich das Gleichgewicht dann ja durcheinander bringen.
Ich würde mich sehr über eine Antwort von Ihnen freuen, damit ich mit meinem Sohn darüber noch einmal sprechen kann.
Liebe Grüße
Maria
Liebe Maria,
vielen Dank für die Weiterleitung der sehr spannenden Frage Ihres Sohnes. Er scheint ein sehr pfiffiger Junge zu sein, der sich auch traut seine Fragen ganz offen zu formulieren. Das halte ich für eine sehr wichtige Fähigkeit.
Nun hat mich eine Antwort auf seine Frage auch etwas Bedenkzeit gekostet, denn die Komplexität des Gleichgewichts zwischen gut und böse macht es nicht gerade leicht die Problematik kindgerecht zu erklären. Ich werde es aber trotzdem versuchen. Vielleicht können Sie die Antwort für Ihren Sohn noch etwas kindlicher gestalten.
Für uns Christen ist die Welt und auch der Mensch grundsätzlich gut, denn beides ist von Gott geschaffen und als gut gedacht. Dass es auch Böses gibt, lässt sich nicht leugnen, denn es ist der freie Wille des Menschen, der die Nähe (oder Ferne) zu/von Gott im eigenen Leben bestimmt. Man kann also gut christlich sagen, dass je mehr man Gott an seinem Leben Anteil haben lässt, umso mehr hat das Gute Einzug im eignen Leben und umso mehr man sich von Gott entfernt, umso mehr bestimmt das Böse das eigene Leben. In diesem Rahmen von einem Gleichgewicht zu sprechen stimmt also streng genommen nicht. Da die Welt als gut geschaffen ist, ist es auch, auf lange Zeit gesehen, das Ziel der Menschheit gut zu werden und zu sein, d.h. das Gute zu erreichen und das auf das Miteinander zu übertragen. Bildlich gesprochen, lässt sich die Welt vielleicht in einer rosa Wolke eingehüllt darstellen – so ist sie von Gott geschaffen. Man könnte also von einem einseitigen Gleichgewicht sprechen.
Das Böse ist definitiv in der Welt vorhanden und lässt sich nicht leugnen. Entscheidend ist jedoch, dass das Böse nicht Überhand nehmen sollte, das einseitige Gleichgewicht also umzukehren. Solang dies nicht der Fall ist und die rosa Wolke nicht schwarz wird, lässt sich von einem Gleichgewicht im weitesten Sinne sprechen. Hier kommt eine wichtige Erkenntnis ins Spiel, die das Christentum sicher mit dem Buddhismus teilt: die Welt ist nicht schwarz und weiß, sondern es gibt immer verschiedene Graustufen, die dazwischen abstufen und somit auch das absolute Gleichgewicht relativieren.
Um ganz konkret die Frage Ihres Sohnes aufzugreifen, lässt sich sagen, dass wenn er für seine kranke Tante betet und sie gesund würde, dass dafür sicher niemand anderer krank würde. Wenn Sie gesund ist, dann sind wir Menschen dem Zustand der Welt, wie ihn Gott geschaffen und angedacht hat, ein Stück näher.
Ermutigen Sie Ihren Sohn weiterhin so spannende Fragen zu stellen und lassen auch Sie sich in der Beantwortung nicht entmutigen. Ich finde das großartig.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute.
Pia Heu