Konsubstantiation - was geschieht beim evangelischen Abendmahl?

Ursula Neuburg

Grüß Gott, da ich katholisch bin, ist mir das evangelische Abendmahlsverständnis nicht ganz klar. Ich gehe davon aus, dass nach den Einsetzungsworten (sagt man bei Ihnen so?) der HERR in Brot und Wein ist. Das ist - nehme ich an - für alle Evangelischen (AB) gleich. Über das Danach allerdings hörte ich verschiedene Versionen. Zwei Herren - ein Schwabe und ein Bonner - überzeugten mich am meisten, weil sie regelmäßige Kirchgänger und im Pfarrgemeinderat (ja, ich weiß, das heißt bei Ihnen anders ...) tätig sind. Die sagten unabhängig voneinander, dass der HERR nur dann in den Abendmahlsgaben gegenwärtig ist, wenn man an IHN glaubt. (Der Schwabe wählte die Definition "wenn man würdig ist".) Wie darf ich das verstehen? Und wenn etwas übrigbleibt, ist es dann wieder normales Brot und normaler Wein? Liebe Grüße aus Wien Ursula Neuburg

Liebe Frau Neuburg,

danke für Ihre Frage, die in die Reformationszeit zurück führt. Heute - 500 Jahre später - möchte ich festhalten: Die Übereinstimmungen zwischen den großen Konfessionen überwiegen die Unterschiede. Kardinal Marx hat 2017 während des "Ökumenischen Festgottesdienstes zur Versöhnung" gesagt: "Der Grundton unserer Begegnung ist die Freude darüber, dass wir gemeinsam den Namen Jesu Christi tragen. Er inspiriert uns." (Predigt zum Ökumenischen Festgottesdienst „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“ am 11. März 2017 in der St. Michaelis Kirche in Hildesheim)

Die Freude darüber, dass wir gemeinsam den Namen Jesu Christi tragen, verbindet uns mit allen Christinnen und Christen.  Jede Konfession feiert im Heiligen Abendmahl die Gegenwart Jesu Christi. Bevor ich Unterschiede benenne, möchte ich den grundsätzlichen Konsens einmal benannt haben. Übereinstimmung ist schon zwischen den verschiedensten evangelischen Kirchen erklärt worden: "Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, dass der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit." (Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa 16. März 1973) 

Für Martin Luther zählt im Gottesdienst nur das Wort Gottes, es predigt die sündenvergebenden Gnade Gottes und wirkt im Heiligen Abendmahl. Brot und Wein bekräftigen das Wort Jesu, das über Brot und Wein gesprochen wird, macht die Gaben auf dem Altar zum wirksamen Sakrament. Die "Einsetzungsworte" sind Worte wirkungsvoller Verheißung. 

Luthers Abendmahlslehre geht davon aus, dass die Gläubigen "in, mit und unter" Brot und Wein  den Leib und das Blut Jesu Christi zu sich nehmen. Luther illustriert das Verhältnis zwischen dem Wort Gottes und den Gaben des Abendmahls mit dem Feuer das Eisen schmilzt und mit dem im Feuer zum Glühen gebrachten Eisen. Das Feuer verbindet sich so unmittelbar mit dem rotglühenden Eisen, dass beide Substanzen - selbst beim näheren Hinsehen - nicht mehr zu unterscheiden sind,  aber in der Glut sind sie je für sich noch immer vorhanden: Feuer und Eisen, beide glühen rot. Dieses Bild vom Feuer und dem glühenden Eisen illustriert den Begriff Konsubstantiation. Von innen betrachtet bleiben die Elemente unterschieden, von außen gesehen bilden sie jedoch eine sichtbare Einheit. 

Den Begriff "Wandlung" kennt Luther nicht. "Brot und Wein ist ein göttlich Zeichen, da Christi Fleisch und Blut wahrhaftig innen ist. Wie und wo, das lass Gott befohlen sein." (Luther im: "Sermon vom Abendmahl")  

"Lasst uns unsere Augen und Gemüt allein auf die reine Stiftung Christi richten und auf nichts anderes sehen als auf das Wort Christi, durch das er das Sakrament eingesetzt, vollbracht und uns anbefohlen hat", schreibt der Reformator. (Luther in: "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche") Im Bild gesprochen: Das Wort Gottes ist die Glut und Brot und Wein sind das Eisen und die Gaben auf dem Altar verschmelzen in der Glut des Wortes Gottes. 

Luthers Neuansatz: Allein das göttliche Wort bewirkt die Kirche, also auch die Sakramente. Alles wird am Wort Gottes geprüft. Luther kommt zum Schluss, dass Taufe und Abendmahl die einzigen Sakramente sind, alle anderen Sakramente hätten Menschen hinzu "erfunden". 

Hier muss ich an Ihre beiden Herren aus Stuttgart und Bonn denken. Wenn die beiden meinen, dass Jesus Christus nur dann im Mahl gegenwärtig ist, wenn beide im Vollzug des Abendmahls an ihn glauben, dann würde unser persönlicher Glaube das Abendmahl einsetzen. Ich bin mir aber sicher, dass die beiden meinen an die Konsubstantiation denken: Gottes Wort verschmilzt im Sakrament zu einer verdichteten Verheißung und verbindet sich mit dem menschlichen Leben und macht uns, die Menschen zum Empfang würdig. Der Stuttgarter Herr wird für das Mahl Jesu würdig indem er durch Gottes Gnadenwort befreit zur Würde wird. Der Bonner Herr ist vielleicht evangelisch reformiert und folgt den Bekenntnissen der Reformierten Schwesterkirche. Darum ein Blick Richtung Schweizer Reformation. 

Huldrich Zwingli in Zürich ging es beim Abendmahl um das Wort: "Das ist mein Leib . . . das ist mein Blut". Das "ist" bedeutet für ihn, dass Christus im nicht zugleich im Himmel und auf der Erde im Abendmahl gegenwärtig sein kann. In Brot und Wein ist er darum allein zeichenhaft anwesend. Nicht das Essen von Brot und Wein, sondern der getötete Christus bringt - so Zwingli - das Heil zu uns Menschen. Das Abendmahl ist für den Züricher Reformator eine Zeichenhandlung, Konsubstantiation ist nicht denkbar. Zwingli und Luther fanden keine gemeinsame Basis. Früh zeichnete sich in der Reformation ein Bruch ab. 

Johannes Clavin bedauerte den Streit über das Abendmahl. Seine Position war versöhnlicher als Zwingli und Luther. Brot und Wein seien sichtbare Zeichen durch die Jesus Christus sich uns mitteilt. Wer das Sakrament empfängt, wird des Leibes und Blutes Jesu Christi teilhaftig, es ist für Zwingli wichtig, das Herz in die Höhe, in den Himmel zu erhöhen. In seinem "Der Genfer Katechismus von 1545" schreibt Calvin: "Im Abendmahl sind zwei Dinge beisammen, nämlich Brot und Wein, die mit den Augen gesehen, mit den Händen berührt und mit dem Geschmack wahrgenommen werden, und Christus, durch den unsere Seelen innerlich als mit der ihnen zukommenden Nahrung gespeist werden." Es könnte sein, das der Bonner Herr dieser Überzeugung folgt. Fragen Sie ihn bitte doch einmal persönlich. 

Vor fünfzig Jahren sind diese Differenzen zwischen den Kirchen der Reformation offiziell ausgeräumt worden. Die "Leuenberger Konkordie" stellt fest: Die "seit dem 16. Jahrhundert entgegenstehenden Trennungen sind aufgehoben. Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, dass sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben und dass der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet." 

Ihre letzte Frage: Was geschieht mit den Gaben Brot und Wein nach dem Abendmahl. In unseren Kirchengemeinden wird mit möglichen "Resten" sorgsam umgegangen. Das Brot wird entweder vollständig verzehrt oder verbleibt in der Dose, in der die Hostien dann erneut auf den Altar gestellt werden. Der Wein wird vollständig ausgetrunken oder darf im Erdreich unter einem Baum im Pfarrgarten versickern. Würdiger Umgang mit den Gaben, an denen Gott seine Verheißung festgemacht hat, ist selbstverständlich, aber Konsubstantiation bedeutet auch, dass am Ende das Eisen als Eisen aus der Glut gezogen wird und als Eisen auskühlt.  

Nun bitte ich Sie, dass Sie mit meiner Antwort einmal zu Ihrem Pfarrer gehen und fragen, wie weit die Römisch-Katholische Tradition sich heute - in der Praxis - von der evangelischen Gegenwart unterscheidet. Ich kann nur berichten, dass in meiner Praxis mancher Kollege aus der Katholischen Kirche die mittelalterlichen Konflikte abtat und mich einlud: "Bruder, komm doch auch zu uns. Wir sind doch beide Christen." 

Freundlich grüße ich Sie, Ihr Henning Kiene 

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