Christmette Kölner Dom 2020

Jens Roggemann

Darf frau/man/mensch als evangelisch gläubiger Mensch Kardinal Wölkis Bemerkung bei der Christmette 2020 im Kölner Dom ("Entschuldigung" ist ja wohl deutlich übertrieben!) zu seinem Zurückhalten des ersten "Gutachtens zu Missbrauch im Erzbistum Köln" kommentieren?

Lieber Herr Roggemann,

nun liegt Ihre Frage schon eine Weile unbeantwortet in meinem Posfach - und ist immer noch aktuell! Das allein zeigt, wie groß die Tragweite der Fragestellung ist. Und ich meine ganz klar: Ja, auch evangelische Christ:innen dürfen sich zu dem Thema äußern. Vor allem zwei Gründe sind es, die mich zu dieser Ansicht bringen.

Der erste: Es geht um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Kindesmissbrauch gab es und gibt es leider immer noch in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, auch innerhalb der Kirchen. Jeder Fall ist einer zu viel und muss juristisch - vor staatlichen Gerichten - aufgearbeitet werden. Und jede Instituiton muss einen ehrlichen und selbstkritischen Umgang damit finden und sich fragen: Welche Faktoren konnen diese Verbrechen möglich machen? Und: Was können wir tun, um solches möglichst zu verhinden? - Wo kämen wir denn hin, wenn zu Fällen innerhalb der katholischen Kirche und dem Umgang damit sich nur Katholik:innen äußern dürften, zu DRK-Kindergärten nur Rotkreuzler:innen, zu Sportvereinen nur deren Mitglieder? Die Gesellschaft - wir alle - haben einen Anspruch darauf, dass Institutionen, denen Vertrauen geschenkt wird, alles tun, um diesem Vertrauen gerecht zu werden, und das schließt den verantwortlichen Umgang mit Vorfällen ein.

Der zweite Grund: Trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten, die die Kirchengeschichte durchziehen, verbindet uns Evangelische viel mit der katholischen Kirche. Viele Menschen sehen nur "die Kirche". Und auch wenn das auf der Ebene der konkreten öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft nicht zutreffend ist ist, steckt viel Wahres darin: Römisch-katholische Christ:innen sind unsere christlichen Geschwister. Und wenn die einen in der christlichen Familie in einer Krise sind (und was den teilweise verkorksten Umgang mit Missbrauch betrifft: in einer selbst verschuldeten Krise!), sollte es den anderen auch wehtun. Mir jedenfalls tut es weh - und macht mich zugleich wütend -, wenn ich sehe, mit wie wenig christlicher Wahrhaftigkeit einzelne Leitungspersonen herumeiern. Zugleich bin ich froh um alle, die ehrlich und klar benennen, was geschehen ist, und die bekennen, wo die Kirche an ihren eigenen Idealen gescheitert ist. Ich kann mich als evangelischer Christ dazu nicht neutral verhalten, weil es um Wahrhaftigkeit und Verantwortung geht.

Darum finde ich, dass auch wir Evangelischen uns äußern dürfen und sollen - aber nicht aus moralischer Überheblichkeit heraus, sondern aus Verantwortung gegenüber den Opfern und aus dem Wunsch heraus, dass die Wahrheit, auch wenn sie wehtut, offen und ehrlich ausgesprochen wird.

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