Warum müssen wir Gott um Vergebung bitten?

Irene
betende Frau im Freien
© Olia Danilevich/Pexels

Hallo! 
Es wird doch gesagt: Gott hat seinen Sohn gegeben für unsere Schuld und unsere Sünden… Oder im Vaterunser: … Vergib uns unsere Schuld … Erlöse uns von dem Bösen … Das wäre doch z.B. für einen Dieb oder Mörder passend. Aber ganz ehrlich, ich bin keine Heilige, aber ich führe, wie so viele andere auch, ein ganz normales Leben und habe noch nie so schrecklich Schlimmes angestellt. Warum muss man dann um Vergebung der Sünden und Schuld beten?

Liebe Irene,

ich kann Ihre Verwirrung verstehen. Da geht man einem normalen und möglichst gesetzestreuen Leben nach und muss sich trotzdem sagen lassen: Im Grunde genommen bist du eine Sünderin, du brauchst die Vergebung Gottes. Das kann schon verunsichern oder sogar verärgern.

Die Vorstellung, die dahintersteht, wenn wir „vergib uns unsere Schuld“ beten, ist diese: Kein Mensch kann durch das Leben gehen, ohne sich irgendwann schuldig zu machen. Das kann unabsichtlich geschehen, weil ich etwas tue oder sage, das jemandem wehtut, ohne dass ich es geahnt hätte. Vor allem aber gibt es sehr viele Situationen im Leben, bei denen es uns nicht möglich ist, so zu entscheiden, dass wir uns nicht schuldig machen. Wer dafür ist, Waffen an die Ukraine zu liefern, nimmt in Kauf, dass diese Waffen Menschen verletzen und töten. Wer dagegen ist, muss ebenfalls damit rechnen, dass durch diese Haltung, Menschen leiden und sterben müssen. 

Die Schuld und auch das „Böse“, von dem im Vaterunser die Rede ist, ist sozusagen dieses Dilemma: Wir Menschen bemühen uns redlich, aber wir sind grundsätzlich nicht in der Lage so zu leben, dass wir immer gut mit einander umgehen. Wir haben einen Hang zum „Bösen“, sei es aus Gier, aus Eitelkeit, aus Desinteresse oder schlicht aus Bequemlichkeit. Gott will aber, dass wir gut miteinander umgehen. Darum erschüttert jede Schuld auch das Verhältnis von Mensch und Gott. Dann reden wir von Sünde.

Im Vaterunser bitten wir darum Gott nicht nur darum, uns zu vergeben, wo wir aktuell schuldig geworden sind. Wir bitten auch uns zu vergeben, dass wir nicht anders können. Übrigens: Ist Ihnen aufgefallen, dass das Vaterunser im Plural formuliert ist? „Vergib UNS UNSERE Schuld … Führe UNS nicht in Versuchung.“ Darin spiegelt sich wieder, dass es um uns als Gemeinschaft geht, die Gott bittet. Wenn wir das Vaterunser beten, bitten wir also auch für die Mörder und Diebe mit und bitten Gott um Vergebung für sie.

Achtung! Wir bitten Gott um Vergebung für die Täter. Wir bitten nicht die Opfer! Dass Gott uns unsere Schuld vergibt, bedeutet nicht, dass wir sozusagen vor der Justiz freigesprochen sind. Die Vergebung durch Gott bringt das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wieder in Ordnung. Das Verhältnis der Menschen untereinander muss zwischen den Menschen selbst wieder geradegerückt werden, und das geschieht auch durch Gesetze und Rechtsprechung. 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig weiterhelfen bei Ihrer spannenden Frage.

Herzliche Grüße

Frank Muchlinsky 

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