Liebe Frau Jecht,
mich beschäftigt diese Stelle:
"17 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. 18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. 19 Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. 20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen."
Wie ist denn die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer?
Und meint Jesus mit dem am Anfang, dass er nicht gekommen ist, das Gesetz aufzuheben, sondern zu erfüllen: Er als einziger Mensch kann das alles erfüllen, was im Gesetz steht.
Das sind ja Teile von der Bergpredigt hier. Luther sah in der Bergpredigt ja den Sinn, dass man begreift, wie blöd man vor Gott dasteht und wie groß sein Geschenk der Gnade ist.
Wie sehen Sie das?
Weil die ganzen Anforderungen in der Bergpredigt....Hui das überfordert mich!
Und auch wenn man nicht verfolgt wird, wie es im den Seligpreisungen steht, ist man als Christ ja trotzdem im Himmel dabei. Oder? Verfolgt zu werden, ist ja keine Voraussetzung?
Liebe Grüße
Liebe Anonym,
vielen Dank für Ihre Überlegungen und Ihre Frage.
Jesus erklärt in der uns überlieferten Bergpredigt, dass das Gesetz gültig bleibt. Hierzu gehören die Zehn Gebote, die Rechts- und Speisevorschriften des Alten Testaments. Das ist auch nachvollziehbar, da Jesus Jude war. Deshalb sagt er: "Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht." Jesus möchte verdeutlichen, dass er das Gesetz nicht aufhebt. Gleichzeitig geht es auch nicht um stures Befolgen der Regeln und Gebote um der Regeln und Gebote selbst willen. Dies wird besonders in Markus 2,27 deutlich: "Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen." Hier steht für Jesus das Gebot der Gefährdung des eigenen Lebens und der Gefährdung des Lebens höher als das Sabbat gebot. Damit zeigt Jesus, dass Ethik höher steht als die starre rituelle Vollzug bzw. die starre Beachtung aller Regeln und Gesetze.
Mit dem "Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten" meint Jesus eben den starren Gebrauch dieser Gesetze. Oft wird in den Überlieferung deutlich, dass Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten für ihren starren und undifferenzierten Gebrauch des Gesetzes kritisiert. Zum Beispiel auch in der Überlieferung über Jesus und die Ehebrecherin in Johannes 8,1-11: "[...] Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie."
Mit dem "Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten" meint Jesus also auch, andere schärfer zu verurteilen als es notwendig oder angebracht ist bzw. ohne alle Seiten und Argumente mit einzubeziehen.
Es geht Jesus also um eine neue Ethik bei Beibehaltung aller Gesetze. Es ist nachvollziehbar, dass am Ende aller Zeit diese Gesetze nicht mehr notwendig sind. Im "Himmel", so erzählt es die Bibel, werden wir einträchtig beeinander wohnen.
Sie fragen, ob man als Christ verfolgt werden muss um in den Himmel zu kommen. Diese Aussage ist so zu verstehen, dass Menschen, die verfolgt werden, einen Platz "im Himmel" haben. Verfolgt zu sein ist aber keine Voraussetzung um "in den Himmel" zu kommen. Martin Luther selbst hat im Übrigen klar unterschieden. Als Privatperson geht es darum, die Forderungen der Bergpredigt so gut es eben geht zu erfüllen. Als öffentlichliche Person aber sah er Gewalt als eine Möglichkeit im Bedarfsfall zu reagieren. Ich selbst verstehe die Bergpredigt als Richtschnur. Es wird Situationen geben, in denen ich Forderungen nicht erfüllen kann. Auch eine Privatperson darf sich im Extremfall gegen Gewalt wehren. Die Bergpredigt zeigt in ihrer Gesamtheit und auch in dem von Ihnen zitierten Abschnitt, eine neue Ethik, eine neue Grundhaltung.
Diese Grundhaltung rechnet eben auch ein, dass ein Mensch Fehler macht und deshalb eine starre Verurteilung wie sie durch die Pharisäer und Zöllner geschah unangebracht ist. Sie führt nicht, wie Sie es nennen "in den Himmel".
Sie dürfen also getrost sein, dass GOTT von Ihnen nicht verlangt, dass Sie die Forderungen der Bergpredigt erfüllen. Vielmehr ist die Bergpredigt die greifbare Auslegung des Gesetzes. Die Fehlbarkeit des Menschen ist schon mit eingerechnet. GOTT urteilt und entscheidet also anders als wir Menschen. Das kann Gnade genannt werden. Der Mensch steht allerdings auch nicht blöd vor GOTT da, sondern ganz so wie er ist: geliebt und am Ende auch wirklich gerecht mit allem angesehen.
Bleiben Sie behütet.
Es grüßt Sie,
Michaela Jecht