Lieber Herr Muchlinsky,
bei der Christmette in diesem Jahr stand die Mutter Maria und der Logos im Mittelpunkt. Werden wir katholisch? Oder philosophisch? Was hat es eigentlich mit dem "Logos" auf sich?
Lieber Gast,
dass Maria am Heiligabend im Mittelpunkt steht – ganz abgesehen von der Konfession –, dürfte leicht einleuchten, oder? In der Weihnachtsgeschichte spielt sie eine entscheidende, wenn nicht gar die Hauptrolle. Immerhin bringt sie den Erlöser unter widrigsten Umständen zur Welt, nachdem sie sich neun Monate vorher bereits mit einer unmöglichen Situation konfrontiert sah, als der Engel Gabriel dem jungen Mädchen verkündigte, dass sie ungeplant und mit göttlichem Zutun schwanger werden würde. Man muss nicht katholisch sein, um diese Frau in der Nacht der Geburt ihres Sohnes in den Mittelpunkt zu stellen.
Und der Logos? Nun, der kommt aus dem Johannesevangelium (Joh1), wie Sie sicherlich wissen. Diese Bibelstelle ist Evangeliumslesung für den Zweiten Weihnachtsfeiertag, und damit ich alle sechs Jahre an diesem Tag der Predigttext. Der sogenannte Johannesprolog Joh 1,1-19) ist die Version des Johannes, wie er das Erscheinen Jesu Christi in der Welt erzählt – also eben auch ein Weihnachtstext. Vielleicht wollte Ihre Pastorin bzw. Ihr Pastor endlich einmal vor einem vollen Haus über diese so interessante Bibelstelle predigen, denn bekannterweise sind die Gottesdienste am 2. Weihnachtsfeiertag deutlich geringer besucht als die zur Christmette am Heiligabend. Aber Scherz beiseite: Der Johannesprolog mag philosophisch daher kommen, aber es ist eben nur eine andere Weise, das unerhörte Vorkommnis der Weihnachtsnacht in Worte zu fassen als die uns so liebe Geschichte von Hirten, Stall und Königen. Auch, wenn Johannes hier viele philosophische Begriffe verwendet, ist seine Sprache doch ausgesprochen einfach.
Was hat es mit dem Logos auf sich? Eine ausführliche Antwort auf diese Frage würde den Rahmen dieses Kreises sprengen. Darum hier der Versuch einer knappen Antwort:
Der Begriff „Logos“ hatte in der Zeit, in der der Evangelist Johannes lebte, eine weite Verbreitung. Die Übersetzung (wörtlich: das Wort) ist sehr schwierig. Der Logos beschreibt die Vorstellung des Göttlichen, ohne einen personalen Gott zu meinen. Johannes nutzt diesen Begriff, um diese zeitgenössische Vorstellung einerseits mit dem Bekenntnis zum biblischen Gott zu vereinen; andererseits muss er – eben weihnachtlich – das Verhältnis von Gott Vater und Jesus Christus beschreiben. Dabei greift er unter anderem auf die (frühjüdische) Vorstellung von einer präexistenten (also bereits vor der Schöpfung existierenden) göttlichen „Schöpferweisheit“ zurück, die er mit der (wie gesagt, zu seiner Zeit populären) Vorstellung vom Logos gleichsetzt. So entsteht sein Prolog vom Logos, der im Anfang war, bei Gott war, Gott war, durch den alles geschaffen ist, und so weiter.
Wenn Sie so wollen, ist das eine philosophische Überlegung. Doch „werden wir nicht philosophisch“, wenn wir uns mit dem Logos auseinandersetzen. Vielmehr stellen wir uns der Tatsache, dass es philosophisch gesehen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass Gott Mensch wird. Ausgerechnet das glauben wir Christinnen und Christen aber und feiern es Jahr für Jahr.
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky
P.S. Der Wikipedia-Artikel Logos ist nicht zu empfehlen!