Hallo,
die Grundlage der christlichen Religion ist ja die Bibel, die uns als Grundlage und Maßstab für unser Leben dienen soll. Wie soll man als Christ nun aber damit umgehen, wenn man bestimmten Stellen/Aussagen einfach nicht zustimmen kann? Mir geht es z.B. mit manchen Teilen des 1. Korinther- Briefes so. Erstens sehe ich Familie als einen der christlichen Grundwerte, was die Aussage Paulus "es sei besser nicht zu heiraten" für mich schwierig macht. Auch mit den Aussagen zur Rolle der Frau (Kapitel 11, Vers 3-16 und Kapitel 14 Vers 34,35) habe ich Probleme. Wie also mit so etwas umgehen?
"Darf" ich das einfach als "private" Ansicht Paulus ansehen?
Lieber Gast,
die Bibel als Grundlage und Maßstab des christlichen Lebens anzunehmen, bedeutet nicht, dass Sie jedem Satz in ihr zustimmen müssen. Es geht vielmehr darum, die Bibel als das Buch anzuerkennen, in dem Gott sich den Menschen offenbart. Die Bibel ist nicht von Gott sondern von Menschen geschrieben worden, denen sich Gott in einer besonderen und – nach christlichem Verständnis einzigartigen – Weise offenbart hat.. Man könnte zugespitzt sagen: Die Bibel ist nicht das Wort Gottes selbst, sondern die Interpretation des Wortes Gottes. Das gilt auch für den Apostel Paulus, dem sich der auferstandene Christus zeigte und der darum zu einem so glühenden Verfechter des christlichen Glaubens wurde. Seine Schriften sind die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Christentums, die uns erhalten sind. Sie stammen aus einer Zeit, in der man selbstverständlich davon ausging, dass Jesus Christus sehr bald wiederkommen würde um das Reich Gottes zu vollenden.
Auch Paulus ist ein Kind dieser Zeit. Er will sich vorbereiten, und er findet, dass Ehelosigkeit eine gute Weise wäre, das zu tun, weil man sich auf diese Weise eben ganz Gott widmen kann. In 1.Kor 7 antwortet er auf eine Frage der Gemeinde, ob denn alle Menschen enthaltsam leben sollen. Er macht deutlich, dass er es generell gut findet und dass er selbst es auch so tut. Andererseits ist Enthaltsamkeit laut Paulus eine „Gabe“, die nicht jeder hat und auch nicht jeder haben muss. Wichtig ist ihm, sich nicht zu verbiegen, sondern sich eben auf das Wiederkommen Jesu Christi konzentrieren zu können.
Quote: 1.Kor 7,1-7
Wovon ihr aber geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann. Der Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann. Die Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt der Mann nicht über seinen Leib, sondern die Frau.
5 Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn eine Zeitlang, wenn beide es wollen, damit ihr zum Beten Ruhe habt; und dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht versucht, weil ihr euch nicht enthalten könnt. Das sage ich aber als Erlaubnis und nicht als Gebot. Ich wollte zwar lieber, alle Menschen wären, wie ich bin, aber jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.
Was die Rolle angeht, die in 1. Kor 11 den Frauen zugeschrieben wird, kann ich Ihnen nur zustimmen: Dem widerspreche ich vehement. Auch hier tritt Paulus deutlich als Kind seiner Zeit auf. Mir gefällt Ihre Formulierung dazu gut, wenn Sie schreiben, dass Paulus hier seine „private Ansicht“ vertritt. In der Tat kommt hier weniger der Apostel als mehr der (Privat)Mann Paulus zum Vorschein.
Was geschieht, wenn wir diesen Versen widersprechen? Wird die biblische Botschaft von Gott, der sich der Menschen annimmt und sich ihnen in Jesus Christus in einzigartiger Weise offenbart, verfälscht? Ich denke nicht. Wir dürfen und sollen die Bibel immer wieder mit unseren gesellschaftlichen Verhältnissen in Einklang bringen, damit wir eben die Botschaft auch heute noch als gut und froh erleben können. Pauli Meinung zur Frau im Gottesdienst, wie sie in 1. Kor. 11 beschrieben wird, gehört nicht zu den Sätzen, die uns dabei helfen. Im Gegenteil. Also, lassen Sie uns gemeinsam widersprechen und festhalten an dem, was Paulus als Apostel über Jesus Christus sagt. Da gibt es Vieles, was zeitlos gut ist.
Ich grüße Sie herzlich
Frank Muchlinsky