Obwohl ich mit wundervollen magischen Christkind-Momenten aufgewachsen bin, finde ich jetzt als Erwachsener die Figur des Christkinds zusehends befremdlich. Mythologisch ergibt die Figur für mich einfach keinen Sinn: Einerseits ist sie mit dem Jesuskind zu identifizieren und andererseits ein engelhafter Gabenbringer. Außerdem fühle ich mich unwohl damit, meinem Kind einen Zauber vorzugaukeln, der mit meinem eigenen Glauben und meinen eigenen Gotteserfahrungen herzlich wenig zu tun hat.
Gleichzeitig frage ich mich, ob es nicht gerade mein Glaube an das Christkind war, der es mir bis heute unmöglich macht, meinen eigenen christlichen Glauben frei und selbstbewusst zu bekennen. Seit frühster Kindheit wurde ich - zum Schutz des Weihnachtszaubers vor Anfechtungen - dazu angehalten, mit anderen nicht über meinen Glauben an das Christkind zu sprechen. Und wenn ich gegen diese Weisung verstieß, machte ich bald die Erfahrung, dass ich von Gleichaltrigen belächelt wurde und als naiv und kindlich wahrgenommen wurde. So fühle ich mich bis heute, wenn ich versuche meinen Glauben zu bekennen, als würde ich mich gerade unfassbar lächerlich machen und so verstumme ich, obwohl ich weiß, dass ich eigentlich Zeugnis darüber ablegen sollte und wollte, wie sehr mich mein christlicher Glaube erfüllt.
Auf der anderen Seite wird immer behauptet, dass der Glaube ans Christkind wichtig sei für die kindliche Entwicklung und ich frage mich, ob ich meinem einjährigen Kind nicht etwas Wichtiges vorenthalte, wenn ich mich dazu entscheide, die Bescherung und den Heiligenabend nicht mythisch zu verklären.
Liebe Madeline,
ich kann Ihre Bedenken verstehen, Ihrem Kind etwas vorzugaukeln. Vor allem wenn man wie Sie auch noch verboten bekommen hat, darüber zu reden. Im Grunde genommen braucht es für eine schöne Bescherung weder ein Christkind noch einen Weihnachtsmann. Ich erinnere mich daran, dass bei uns zu Hause die Kinder aus dem Wohnzimmer geschickt wurden und wenn eine kleine Glocke klingelte, wurden wir wieder hineingerufen, der Baum war erleuchtet und die Geschenke lagen darunter. Ja, es wurde gesagt, die Geschenke habe das Christkind gebracht, aber ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich das für bare Münze nahm. Schließlich waren die Erwachsenen im Bescherungszimmer, während dort die Geschenke ankamen.
Diese Art der Bescherung erleichterte auch die Antwort auf die Frage, warum ich mich bei bestimmten Leuten für ihre Geschenke bedanken sollte. Insofern bin ich höchstens „halbmagisch“ aufgewachsen und erinnere mich trotzdem mit großer Freude an die Heilgabende meiner Kindheit.
Nun wieder zu Ihnen: Ich nehme an, dass es vor allem die Tatsache war, dass man Ihnen das Christkind als gut zu hütendes Geheimnis nahebrachte und Ihnen damit Probleme einbrachte. Auf diese Weise bekam die sicherlich schöne und im besten Sinne zauberhafte Tradition bei Ihnen etwas ungut Geheimnisvolles. Das Kommen des Christkinds wurde, genau wie Sie sagen, magisch aufgeladen, es wurde zu einer „esoterischen“ Handlung. Esoterisch meine ich hier im ursprünglichen Sinn, also etwas, das nur einem begrenzten inneren Zirkel zugänglich ist. Man muss also schon dazugehören, um es zu verstehen. Das ist keine gute Haltung für ein Kind. Wer etwas lieber verheimlichen möchte, geht davon aus, dass „die anderen“ das nicht verstehen werden, was man da tut. Und das bestätigte sich dann auch prompt, als Sie davon erzählten. Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass ihre Vermutung stimmt und dass bereits in diesem Alter Ihre Probleme begannen, über Ihren Glauben zu sprechen.
Was also Ihr Kind betrifft, so schlage ich Ihnen vor, einen eher „durchschaubaren“ Umgang mit dem Christkind zu pflegen. Wie Sie selbst sagen, ist diese Figur etwas nicht ganz Fassbares, nicht erwachsen, nicht Kind, nicht Jesus, nicht Engel – Spielen Sie damit und lassen Sie sich dabei in die Karten schauen! Kennen Sie Siegfried und Joy? Diese beiden „Magier“ haben gerade damit Erfolg, dass sie sich immer wieder dabei „ertappen lassen“, wie sie ihre Zauberkunststücke hinbekommen. So spielen sie mit der „Magie“, und das macht ihre Auftritte leicht und fröhlich.
Und mein Rat für Sie selbst: Wenn Sie mehr von Ihrem Glauben erzählen möchten: Setzen Sie sich nicht unter Druck, „Zeugnis abzulegen“, sondern erzählen Sie davon, „wie sehr er sie erfüllt“, wie Sie es geschrieben haben. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und ein bisschen auch ein zauberhaftes Weihnachtsfest!
Frank Muchlinsky