"Klassisches" Beten

Daniela V.
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Guten Tag, Herr Muchlinsky,

 

seit ich klein war, habe ich mich nie in der klassischen Bet-Form wieder gefunden. Natürlich kenne und spreche ich das "Vater-Unser" aber ich hatte nie das Gefühl in diesem Moment mit Gott zu sprechen. Das war immer nur, wie soll ich sagen, fast wie eine Floskel wenn es im Gottesdienst gesprochen wurde. Man tat es eben einfach. Ich hatte dabei aber nie das Gefühl, für mich selber eine Verbindung zu Gott aufzubauen, sondern im Höchstfall nur für die Kirchengemeinde. Als junge Erwachsene war ich sogar lange der Meinung nicht beten zu können und zweifelte sogar an meinem Glauben. Bis mir etliche Jahre später auffiel das ich ja doch in gewisser weise bete.

Ich halte mich dann nicht an vorgefertigte Worte. Es ist als ob ich ein Gespräch beginne. Oft merke ich, dass ich das mittlerweile ganz automatisch mache. In Gedanken erzähle ich Gott alles, was mich freut oder bedrückt. Ob ich mich freue oder tieftraurig bin. Ich bitte ihn dann z.B. darum, dass ich mehr Einsicht oder Geduld habe. Bedanke mich bei ihm oder schimpfe auch mal wüst.
Was einen eben gerade bewegt. Allerdings frage ich mich ob diese Art des "Zwiegesprächs" denn unter Gläubigen üblich ist. Mir wurde immer nur die "klassische" Form des Betens vorgelebt.
Aber wie soll ich mich denn in vorgefertigten Texten wiederfinden die in diesem Moment rein gar nichts mit meiner Lebenssituation zu tun haben?

Mein Partner ist katholisch, daher war ich auch schon dabei, wenn ein Rosenkranz gebetet wurde. Ganz ehrlich, diese Form schreckt mich regelrecht ab. Ich weiß nicht warum, ich kann nur sagen, dass ich hinter diesen ständigen Wiederholungen keinen Sinn für mich sehe. Er dagegen geht voll darin auf.
Gibt es denn nur eine Form des "richtigen" Betens oder ist beten, ebenso vielfältig wie es Religionen auf der Welt gibt. Und was gilt für uns evangelische Christen?

Schönen Sonntag noch und viele Grüße
Daniela V.

Liebe Daniela,

vielen Dank für diese schöne Beschreibung Ihrer Gebete! Gleich zu Beginn: Meiner Meinung nach kann man überhaupt nicht richtig oder falsch beten. Jeder Mensch, der sich an Gott wendet, betet. Dazu braucht es weder ein bestimmtes "Formular", noch eine bestimmte Körperhaltung. Ich kann gut verstehen, dass Ihnen überlieferte Gebete wenig sagen. Es sind geliehene Worte, nicht die eigenen. Und Sie beschreiben ja selbst, dass Sie im Gottesdienst das Gefühl hatten, "für die Kirchengemeinde" zu beten. Das könnte man ja zunächst auch positiv sehen: Die Gemeinde betet eben gemeinsam – alle dieselben Worte, und weiß dabei sogar, dass überall auf der Welt dieses Gebet gesprochen wird. Das Vaterunser ist das gebet, das alle sprechen, egal ob evangelisch, katholisch, methodistisch, orthodox oder was weiß ich. Dass Sie persönlich sich nicht wiederfinden in den Worten, ist schade, aber – wie erwähnt – kein Zeichen dafür, dass Sie beim Beten etwas falsch machen.

Im Matthäusevangelium steht, dass wir die Worte des Vaterunsers von Jesus selbst bekommen haben. In der Bergpredigt sagt er, wir sollten beim beten nicht viele Worte machen und möglichst "demonstrativ" predigen:

"Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. … Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. … Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel … (und so weiter. Aus Mt 6,5-9)"

Andererseits macht Jesus auch deutlich, dass wir Gott mir unseren Bitten und Anliegen schlicht und einfach behelligen dürfen, ja sogar "nerven", wenn es nötig ist. In dem Gleichnis von der Witwe, die einen Richter so lange bedrängt, bis er ihr Recht verschafft (Lk 18,1-8) oder im Gleichnis vom einem Menschen, der seinen Freund mitten in der Nacht aus dem Schlaf holt, damit er ihm etwas Brot gibt (Lk 11,5-13), beschreibt Jesus, was für das Beten wichtig ist: Seid hartnäckig. Hört nicht auf zu beten. Macht Euch keine Gedanken, ob Ihr stört, sondern bittet! Es kommt ihm dabei nicht auf die Form des Gebetes an, sondern darauf, es einfach zu tun – einfach zu beten.

Darum haben Sie Recht, wenn Sie vermuten, dass Beten eine ganz vielfältige Sache ist, nicht nur so vielfältig wie die Religionen, sondern ich würde sogar sagen: So individuell wie alle Menschen. Wen Ihr Freund zum Beispiel das Beten des Rosenkranzes als gut für sich empfindet – wunderbar. Wenn Sie hingegen lieber mit Gott ein Gespräch mit eigenen Worten führen – ebenso prima! Ich bin sicher, dass Gott in beiden Fällen ein offenes Ohr hat.

Darum noch einmal in aller Klarheit: Beten Sie weiter so! Alles Gute dabei!

Ihr Frank Muchlinsky

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