Lieber Herr Dietrich,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich Ihnen - im Auftrag des Teams von fragen.evangelisch.de - gerne beantworten will.
Tatsächlich werden viele Kinder in einem Alter getauft, in dem sie noch keine Möglichkeit haben, selbst ihr Einverständnis zu erklären und ihrer Taufe zuzustimmen. Darum treten Patinnen und Paten diesen kleinsten Kindern bei der Taufe zur Seite und begleiten sie in einen mündigen Glauben hinein. Das bedeutet, dass die Getauften in den Jahren ihrer Kindheit für die Inhalte des Glaubens interessiert werden und deren Eltern, Patinnen, Paten und die taufende Kirchengemeinde sich für deren christliche Erziehung einsetzen. Also ist Ihre Annahme, ein Säugling würde in einen neutralen, glaubensfreien Raum hineingetauft, reine Theorie. Sie können - so die Praxis - mit einem lebendigen familiären Umfeld und mit unserer verkündigenden Kirche rechnen. Die Familie und deren Umfeld sind seit jeher (siehe z.B. Apostelgeschichte 16,15) der Ort, an dem die Kinder mindestens so weit in den Glauben eingeführt werden, dass sie sich selbst für Jesus Christus entscheiden können. Ich erinnere mich an meine Mutter, unsere alte Großmutter, die natürlich aus der Kinderbibel vorlasen, mit uns beteten und christliche Lieder sangen. Auch an einen sehr lebendigen Konfirmandenunterricht erinnere ich mich. Sie können damit rechnen, dass unsere Kirchengemeinden ihre getauften Kinder im Blick haben, und gerade jetzt in der bevorstehenden Adventszeit, wird das überall deutlich. Ein - wie Sie schreiben - persönlicher Glaube wird immer entstehen und wachsen können, dafür setzt das Geschehen rund um die Taufe den Rahmen. Das Versprechen die Patinnen und Paten und die Eltern bei der Taufe und die Kirchengemeinde stehen für die persönliche Glaubensentwicklung der Kinder ein.
Trotz aller Mühe: Christlichen Glauben kann man sich nicht selbst aneignen, er bleibt immer eine Gabe, die den einzelnen Menschen unabhängig von Mutter, Vater, Patinnen und Paten erreicht. Manchmal blüht Glaube auf, wie eine Rose in der Wüste. Manchmal wundern sich Menschen, eben noch agnostisch gesinnt, über ihre persönliche Neuausrichtung. Man wundert sich immer wieder, welcher Mensch sich zum Glauben bekennt und fragt sich, wie das möglich ist, dass "ausgerechnet" dieser Mensch nun als Christin oder Christ spricht und glaubt.
Glaubende Menschen sind für mich immer ein Wunder. Aber: Gottes Wort erschafft den Glauben, und Gott lässt sich einfach nicht aufhalten. Sogar einen Saulus bekehrt er zu seinem Apostel Paulus. (Apostelgeschichte 9) Lebendiger Glaube ist also kein einsamer Entschluss, den man bewusst fassen kann, er ruht - wie die Taufe - allein in der Tiefe und Weisheit des Wortes Gottes. Martin Luther hält im Kleinen Katechismus fest: "Die Taufe ist nicht allein schlicht Wasser, sondern sie ist das Wasser in Gottes Gebot gefasst und mit Gottes Wort verbunden."
Jesus sagt im Johannesevangelium Kapitel 3: "Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde." (Johannes 3,17) Taufe ist Rettung. Jeder menschliche und damit auch lebendige Glaube ist in dieser Rettung begründet. Sie bitten um biblische Belege: Nach Galater 3,26 29 zieht der getaufte Christ Christus an und empfängt so die Gotteskindschaft. In 1 Korinther 12,12f. werden die Christinnen und Christen in einen Leib hineingetauft. Nach Römer 6,3f. sind alle auf seinen Tod getauft, mit Christus begraben. Die biblische Wiedergeburt ist ein österliches Geschehen. Jetzt erst können die Glaubenden in einem neuen Leben wandeln. Bei Paulus ist der einzelne Mensch und die Gemeinde zunächst nur passiv, denn lebendiger Glaube verdankt sich der Aktivität Gottes. Aus dem verlorenen Menschen macht Gott einen geretteten Menschen.
So lese ich in der Bibel: Jesus Christus "hat ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht, das ewiglich gilt, und hat sich zur Rechten Gottes gesetzt." (Hebräer 10,12) Und dann denke ich: Mehr Opfer braucht es nicht, dieses Opfer gilt auch denen, die zart, behutsam, leise, schweigend glauben oder vielleicht auch gar nicht glauben können, obwohl sie getauft sind. Die Wiedergeburt liegt ja in der Vergangenheit, geschah am Kreuz, in der Auferstehung und jetzt gilt: "Wo aber Vergebung der Sünden ist, da geschieht kein Opfer mehr für die Sünde." (Hebräer 10,18) Vielleicht müssen wir alle etwas gnädiger sein und uns gegenseitig eingestehen: Wenn Gott sich für die Rettung dieser Welt nicht selbst zu schade ist, warum sollten wir diese Rettung nicht auch denen gönnen, die sich nicht dazu durchringen konnten, aus ihrer Taufe selbst etwas mehr lebendigen Glauben zu machen?
Wiedergeburt ohne eigenen Glauben halte ich persönlich eigentlich für unmöglich. Aber ich weiß auch, dass Gottes Erlösungswerk nicht nur den Menschen meint, den meine Augen sehen. Als Mensch neige ich ja, gerade bei der Beurteilung des Glaubens oder der Moral eines anderen Menschen, zu einer gewissen Oberflächlichkeit. Gott geht es immer auch um das Verborgene im Leben, in der Tiefe eines jeden Menschen, er sieht auch das, was ich nicht sehen kann. Die Leuenberger Konkordie, die die Kirchen der Reformation verbindet, drückt das so aus: In der Taufe "nimmt Jesus Christus den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf, damit er eine neue Kreatur sei." Das Wort "unwiderruflich" prägt sich ein. Auch der nächste Satz widerruft das: Jesus Christus "beruft ihn in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge." Dieser Berufung folgt unsere Kirche und verleiht Patenschaften an Patinnen und Paten, unterstützt Mütter, Väter, unterhält Kindergärten, feiert Kindergottesdienste, Kinderbibelwochen, lädt zu Kinder- und Jugendchören ein und übernimmt Seelsorgedienste in Schulen und Berufsschulen.
Für Ihre Frage danke ich Ihnen, Sie haben mich ins Grübeln gebracht und ich wünsche, dass wir diese Wiedergeburt zu einem lebendigen Glauben in der kommenden Festzeit selbst und persönlich erleben.
Herzlich grüßt Ihr Henning Kiene