Lieber Herr Muchlinsky
Mein Sohn ist 22 Jahre alt und hat panische Angst, dass Gott nicht existiert und es kein Leben nach den Tod gibt. Er isst und schläft kaum noch und ist auf seiner Arbeitsstelle unkonzentriert. Es macht ihn fix und fertig und er ist nur noch am Weinen und Grübeln. Er hat fürchterliche Angst davor, dass er nach dem Tod einfach aufhört zu existieren und dass er dann seine Familie nicht mehr treffen kann.
Er meint, wenn Gott ihn lieben würde, dann würde er doch sehen, wie schlecht es ihm geht und er würde ihm ein Zeichen geben. Ich weiß nicht mehr, wie ich als Mutter ihm noch helfen kann. Ich habe schon stundenlange Gespräche mit ihm darüber geführt, aber ich komme nicht mehr weiter.
Gruß Julia
Liebe Julia,
es tut mir herzlich leid, dass Ihr Sohn sich so sehr vor dem Tod fürchtet. Die Vorstellung, dass unsere Existenz mit dem Tod vollständig endet, kann in der Tat Angst machen. Umso schöner ist es, dass Sie sich ihm in seiner Sorge zuwenden.
Die christliche Hoffnung, dass es nach dem Tod weitergeht, begründet sich auf den Glauben an die Auferstehung Jesu Christi. Weil Jesus für uns gestorben und auferstanden ist, so folgerte schon der Apostel Paulus, wird Gott auch uns auferwecken, wenn die Zeit reif ist.
Viel mehr als das kann allerdings niemand sagen. Es haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte – und auch im Laufe der Geschichte des Christentums – immer wieder ganz unterschiedliche Vorstellungen davon entwickelt, was genau nach unserem Tod geschieht. Dabei ist keine Vorstellung davon richtiger als eine andere, denn schließlich weiß es niemand. Viele Christinnen und Christen stellen sich vor, dass die Toten schlafen bis zu dem Tag, an dem Gott alle Menschen auferwecken wird, weil er seine neue Welt vollendet. Andere glauben, dass die Seelen der Verstorbenen bereits bei Gott sind. Viele haben eine Vorstellung vom Himmel, in denen die Toten kommen, wobei sie ebenfalls an eine göttliche Nähe denken und nicht an das Weltall. Es gibt auch eine Reihe von Christinnen und Christen, die glauben an eine Art Seelenwanderung, also, dass man wiedergeboren wird in einem anderen Körper. Diese Vorstellung widerspricht allerdings der christlichen Idee von der Einzigartigkeit eines jeden menschlichen Lebens.
Sie sehen, Vorstellungen gibt es sehr viele. Auch die Vorstellung Ihres Sohnes, das vollständige Auslöschen der Existenz ist eine solche Vorstellung, denn auch sie ist freilich nicht beweisen. Sie entspricht lediglich unserem derzeit vorherrschenden Weltbild, das auf Beweisbarkeit angewiesen ist. Wie Sie sagen: Ihr Sohn will beweise, oder zumindest eine Zeichen von Gott haben. Nur funktioniert es so natürlich nicht, denn was könnte Gott konkret tun, um Ihren Sohn zu überzeugen?
Damit wir lernen können, mit dem Tod umzugehen, müssen wir über ihn reden. Das tun Sie beide bereits, und es ist in jedem Fall gut, auch wenn Sie im Moment noch das Gefühl haben, dass es nichts bringt. Und wenn wir über den Tod reden, ist es wichtig, dass wir uns immer wieder klar machen, dass wir nur davon reden können, was wir uns vorstellen, und was wir uns vielleicht wünschen. Der Wunsch Ihres Sohnes scheint es zu sein, dass Beziehungen wie seine Familie auch jenseits des Todes erhalten bleiben. Das ist durchaus eine Hoffnung, die sich auf die christliche Tradition stützen kann.
Wie ich schon schrieb, gründet sich alle christliche Hoffnung auf die Zeit nach dem Tod darauf, dass Jesus Christus gestorben und auferstanden ist. Das bedeutet nicht zuletzt: Gott ist nicht nur ein Gott für die Lebenden. Wenn Gott selbst in Jesus Christus durch den Tod geht, dann ist er auch dort. Diese Hoffnung ist es, die sich dann in vielen Vorstellungen ausdrückt.
Ich rate Ihnen, dass Sie weiter mit Ihrem Sohn sprechen, und dass Sie sich austauschen darüber, wie Sie sich jeweils vorstellen, was nach dem Tod kommt. Versuchen Sie nicht, Ihren Sohn zu überzeugen! Erzählen Sie einfach! Und lassen Sie ihn ebenso erzählen – von seinen Ängsten ebenso wie von seinen Wünschen und Hoffnungen. Auf diese Weise können Sie ihm auch nicht "beweisen", dass Gott existiert, aber sie können ihm zeigen, was es Ihnen bedeutet, dass sie an ihn glauben. Schenken Sie Ihrem Sohn also genau das, was er braucht, und was er fürchtet nach dem Tod zu verlieren: Beziehung und Nähe. Mehr geht nicht, aber ich finde, das ist viel.
Mit sehr herzlichem Gruß
Frank Muchlinsky