Mein Opa war ein herzensguter Mensch. Doch ich weiß, dass er weder an Gott und Jesus noch an ein Leben nach dem Tod geglaubt hat. Nicht, weil er den christlichen Gott abgelehnt hat, sondern weil er es nicht konnte. Für ihn war es nicht möglich, an einen fürsorgenden Gott und an einen Himmel zu glauben. Das war für ihn eher eine Wunschvorstellung der Menschen. Hinzu kam, dass er im Krieg viel Schlimmes gesehen und erlebt hatte. Das machte es für ihn noch schwerer, an eine liebende, sorgende Kraft zu glauben. Was passiert aus christlicher Sicht mit Menschen, die herzensgut und fürsorglich sind, quasi die Nächstenliebe leben, aber nicht an den biblischen Gott und das Evangelium glauben können? Sind sie für Gott verlorene Seelen?
Liebe Friederike,
die Antwort, die ich Ihnen geben kann, ist genauso richtig oder falsch, wie die von allen anderen Menschen. Schließlich wissen wir nicht, was nach dem Tod geschieht. Meine Antwort stammt aus meinem Glauben und aus meiner Hoffnung. Meine Hoffnung ist, dass es nach dem Tod mit uns nicht zu Ende ist. Diese Hoffnung speist sich aus meinem Glauben an die Auferstehung Jesu Christi. Ich glaube, dass Jesus für uns durch den Tod gegangen ist, damit wir selbst im Tod Gott nah sind. Der Gott, an den ich glaube, und von dem die Bibel berichtet, ist nicht nur ein Gott der hier gerade Lebenden.
So weit, so gut. Aber Sie fragen ja auch, was denn nun mit denen ist, die diesen Glauben nicht teilen, aber im Grunde nach dem Glauben in der Nächstenliebe leben. Hier kann man argumentieren, dass es ja keine Rolle spielt, was wir tun, sondern allein, was wir glauben. Paulus und später Luther, zum Beispiel, war das sehr wichtig: Wer an Jesus Christus glaubt, wird auch das ewige Leben haben. Es ging ihnen darum, dass man es sich eben gerade nicht durch gute Taten verdienen kann. Aber: So gut ich diesen Glaubenssatz finde, dass wir uns die Gnade Gottes nicht verdienen können, so wenig gefällt mir der Umkehrschluss, wenn er sagt: Wer nicht an Gott und Jesus Christus glaubt, kann auch nicht gerettet werden. Ich weiß wohl, dass es gute Argumente für diese Sichtweise gibt – auch in der Bibel. Aber ich finde, dass diese Haltung Gottes Liebe und Güte einschränkt. Wer sich als Mensch immer wieder sagt: Wer nicht an Gott glaubt, wird auch nach dem Tod nicht gerettet sein, der macht Gott zu einem Gefangenen unserer Logik und unserer Maßstäbe.
Ich glaube vielmehr, dass wir es schlichtweg nicht ermessen können, wie gütig Gott tatsächlich ist. Es fehlt uns ein Vergleichspunkt, weil wir immer nur menschliche Liebe und menschliche Maßstäbe kennen. In seinen Gleichnissen erzählt Jesus immer wieder, dass unsere menschliche Vorstellung von Gerechtigkeit nicht mit der unendlich gütigen Art zurechtkommt, in der Gott uns liebt. Der ältere Bruder kann es nicht kapieren, dass der Vater seinem jüngeren Sohn einfach so vergibt. (Luk 15,11-32). Die Arbeiter im Weinberg, die länger gearbeitet haben, sind sauer, dass der Weinbergbesitzer allen den gleichen Lohn zahlt (Mat 20,1-16).
Darum glaube ich und hoffe, dass Gott alle Menschen in die Arme nimmt. Niemand geht Gott verloren. Ich glaube nicht, dass es egal ist, ob wir an Gott glauben oder nicht. Ich glaube auch nicht, dass es egal ist, ob wir unseren Nächsten lieben oder nicht. Aber ich glaube an die unendliche Liebe Gottes. Was Ihren Opa angeht, so tut es mir vor allem leid, dass er in seinem Leben keinen Trost aus einem Glauben schöpfen konnte. Gerade wenn er, wie Sie schreiben, so ein herzensguter Mensch war, hätte ich es ihm einfach gegönnt, einen Gauben zu haben, der ihm Hoffnung und Stütze sein kann.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen eine Antwort geben, mit der Sie etwas anfangen können.
Sehr herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky