Liebe Frau Klee,
ich nehme seit einem Monat an einem Online-Bibelkreis teil und habe mit jeder Sitzung mehr das Gefühl, dass die vortragenden Personen eine starke schwarz-weiß Sicht in Bezug auf den Glauben vertreten und vermitteln. Dies verunsichert mich wirklich, da ich bisher eine sehr "liberale" Glaubenssicht hatte. Daher interessiert mich nun die Sichtweise der evangelischen Theologie.
Grundlage für alle Glaubenssätze bildet die Bibel. Alle Aussagen in diesem Kreis stützen sich daher stets auf Bibelstellen. Ich möchte hier ein Beispiel geben:
Mt 13,10-17: "Vom Sinn der Gleichnisrede" - Nach Aussage der Kursleitung redet Jesus in Gleichnissen, weil dies zum einen durch die Propheten so prophezeit wurde und daher Gottes Wille ist, zum anderen um zu verhindern, dass der Feind (Satan) von Gottes Plan erfährt. Er schließt somit die Gruppe an Menschen aus, die Satan nahe stehen oder sich nicht weiter mit der Bibel beschäftigen wollen. Würde Jesus wirklich in Gleichnissen zu den Menschen reden, um seine Worte vor Satan zu verschleiern? Ist nicht der Sinn von Gleichnissen Dinge verständlicher und greifbarer zu machen und damit genau das Gegenteil?
Mk 4,10-12: "Der Zweck der Gleichnisrede" - Hier spricht Jesus von zwei Gruppen. Die einen verstehen und die anderen nicht. Laut Aussage des Kurses Verstehen die einen die "Codesprache" von Gott und erkennen durch die Bibel die Wahrheit, Die Anderen bereiten sich nicht durch die Bibel und "Ochsen, die das Herz pflügen" auf die Wahrheit vor. Sie bereiten sich daher nicht vor, beschäftigen sich nicht oder nicht intensiv mit der Bibel und erkennen daher die Wahrheit nicht. Das bedeutet für diese Menschen, dass sie nicht ins Himmelreich kommen. Wie stehen Sie bzw. die evangelische Kirche zu dieser Aussage? Bleibt das Himmelreich Menschen verwährt, die sich nicht mit der Bibel beschäftigen oder nicht dieser Auslegung folgen?
Die Kursleiter sind der Meinung, dass es Menschen gibt, die den Plan und die Wahrheit Gottes durch das Bibelstudium verstanden haben und daher als Lehrer für andere fungieren können/müssen. Ist Gott nicht in gewisser Hinsicht unergründbar?
Und zu guter letzt: Die Kursleiter sind der Ansicht, dass der Weg ins Himmelreich nur durch ein intensives Studium der Bibel und das Erkennen der Wahrheit Gottes führt. Wie steht die evangelische Kirche hierzu? Reicht es nicht ein guter Mensch zu sein und damit Jesus Weg fortzuführen? Im Kurs heißt es immer wieder, dass die Wahrheit weh tut und nur ein schmaler Pfad ins Himmelreich führt. Ist der Gott der Bibel nicht ein gnädiger liebender Gott, der Fehltritte verzeiht? Können wir Menschen allein durch die Bibel wissen, was nach dem Tod kommt oder ist Gott in dieser Hinsicht nicht eher unergründlich?
Vielen Dank im Voraus
Liebe Andrea,
herzlichen Dank für Ihre spannende Frage!
Es gibt sehr unterschiedliche Umgänge mit der Bibel, diese lassen sich verschiedentlich in Bibelkreisen wiederfinden. Zudem werden Bibelkreise freikirchlich und landeskirchlich angeboten. Die evangelische Kirche als landeskirchliche Institution vertritt in der Regel eher einen historisch-kritischen Umgang mit der Bibel. Das heißt, Bibeltexte werden in ihren jeweiligen Kontexten gedeutet.
Das Matthäus- und das Markusevangelium sind viele Jahre nach Jesu Tod entstanden. In dieser Zeit entstand die Frage, warum es so viele Menschen gibt, die sich trotz der Verkündigung des Evangeliums, also der Frohen Botschaft, nicht zu Christus bekehren und taufen lassen. Es entstand ein Gefühl von "drinnen" und "draußen". Zum einen waren da die, die Jesu Botschaft lebten. Also die christlichen Gemeinden, die sich als Hausgemeinschaften trafen und Gottesdienst feierten. Zum anderen waren da die heidnischen und die jüdischen Gläubigen, die weiterhin ihre Religion praktizierten. Matthäus und Markus beantworten nun die Frage, warum nicht alle Christi Ruf folgen damit, dass Jesus in Gleichnissen sprach. Diejenigen, die an Jesus glauben, verstehen seine Worte. Sie folgen ihm nach. Die anderen können oder wollen seine Worte nicht verstehen. Wer nicht an Jesus glauben möchte, dem bleiben seine Worte verschlossen (Mt 13,10-17). Gott respektiert diese Entscheidung der Menschen.
Für das Markusevangelium wurde angesichts von Mk 4,10-12 der Begriff "Parabeltheorie" oder "Gleichnistheorie" geprägt. Es zieht sich durch das Evangelium, dass eben nicht alle Jesu Worte verstehen (wollen). Eng damit verknüpft ist, dass selbst die Jüngerinnen und Jünger Jesus nicht immer verstehen und dass Jesus als Messias verborgen bleibt. Eine Deutung der Gleichnisstheorie besagt auch, dass Gott unergründlich ist und Jesus auch deshalb in Gleichnissen von ihm spricht. Die Gleichnisse erfassen in ihrer Ambivalenz die Verborgenheit Gottes.
Als protestantische Christinnen und Christen ist die Bibel in der Tat unser Fundament, weil sie von Christus zeugt. Aber: Die Gnade Gottes gilt uns allein durch unseren Glauben, bezeugt durch die Taufe. Durch die Taufe sind wir gerecht geworden, Jesus tritt damit für uns ein. Wir können durch das Lesen der Bibel unseren Glauben stärken. Wir können darin Christus als Wort Gottes erfahren. Aber die Gnade Gottes gilt uns eben unabhängig davon. Wir erhalten also allein durch unseren Glauben an Jesus Christus den Zugang zum Himmelreich. Wir sind schon "drinnen".
Ich hoffe, die Antwort konnte Ihnen etwas helfen.
Beste Grüße und Gottes Segen,
Johanna Klee