Hallo Herr Muchlinsky,
momentan wird bei uns im Unterricht das Thema Leid und Tod behandelt. Bei einer Sache sind sich viele von uns allerdings ziemlich unschlüssig und es gibt geteilte Meinungen. Somit eine ganz einfache Frage: Warum genau musste Jesus sterben und welche Rolle spielen dabei die Theorien vom "mitleidenden Gott" und dem "Stellvertretertod"
Inwiefern sind diese hilfreich für die Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit von Jesus Tod?
Ich hoffe, Sie können uns weiterhelfen. Danke im Voraus!
Liebe Célin, Lena und die restliche 9b,
vielen Dank für eure spannende Frage. Sie ist allerdings ganz bestimmt keine "ganz einfache", sondern eine, über die es sich lohnt, geteilter Meinung zu sein und darüber immer wieder zu diskutieren. Darum möchte ich auch, dass ihr meine Antwort lediglich als einen Diskussionsbeitrag versteht und nicht als die endgültige Antwort.
Zunächst einmal zu eurer direkten Frage: Warum musste Jesus sterben? Meine Antwort lautet: Weil Gott in Jesus wirklich ganz Mensch werden wollte. Ich erkläre das gern etwas ausführlicher: Das Problem der Menschheit ist – aus theologischer Sicht –, dass die Menschen sich selbst für so wichtig halten, dass sie sich selbst zu Göttern machen. Bestimmt findet ihr hierfür einige Beispiele aus der Geschichte und auch in der Gegenwart. Das kann nicht gut gehen und führt immer wieder zur Katastrophe.
Nach christlichem Glauben beschloss Gott darum, die Menschen von diesem zerstörerischen Drang Gott zu werden, zu befreien, indem er nun selbst Mensch wurde. In Jesus lief also ein Teil von Gott selbst auf der Erde herum. Gott machte sich klein, damit die Menschen nicht versuchen müssen, sich groß zu machen. Aber damit Gott in Jesus wirklich ganz Mensch sein konnte, musste Jesus auch erleben, was alle Menschen erleben: Er musste sterben. Wäre Jesus einfach ohne zu sterben zum Beispiel in den Himmel verschwunden, wäre er eben "nur" Gott gewesen.
Das Ergebnis dieses Todes war, dass Gott vollständig "mitleiden" konnte. Er konnte es sich nicht nur vorstellen, wie es ist zu sterben, sondern erlebte es selbst. Wir Menschen können seitdem erkennen, was es tatsächlich bedeutet, Gott zu sein: Es heißt nicht, allmächtig zu sein, auf andere herabzugucken und ihr Schicksal zu bestimmen. Es bedeutet, etwas zu erschaffen und es so zu lieben, dass man bereit ist, alles dafür zu tun, dass die Geschöpfte gerettet werden.
Darum finde ich den Gedanken von einem Gott, der mitleidet mit uns, sehr hilfreich. Etwas ausführlicher formuliert es der Theologe Ingo Baldermann in einem Artikel auf unserer Seite, den ihr hier nachlesen könnt. Er ist gut verständlich geschrieben.
Anders sehe ich das bei der Vorstellung vom "Stellvertretertod". Diese Vorstellung beruht darauf, dass Jesus "stellvertretend" für alle Menschen gestorben ist. Der Gedanke kommt häufig im Neuen Testament und in der christlichen Theologie vor, allerdings wird er sehr unterschiedlich verwendet. Die Vorstellung vom stellvertretenden Tod Jesu ist eng verknüpft mit dem Begriff des "Sühneopfers": Für die Sünden der Menschen, muss Gott ein Opfer gebracht werden. Nun sind, wenn man diesem theologischen Weg folgt, die Sünden der Menschen aber so groß, dass man Gott niemals mit Opfern zufriedenstellen könnte. Darum braucht es das Reinste, das es gibt. Es braucht Jesus, der selbst von Gott ist, also völlig ohne Sünde, damit er stellvertretend für alle Menschen geopfert werden kann.
Mir hilft dieser Ansatz wenig weiter. Er geht grundsätzlich davon aus, dass Gott so etwas wie "Sühne" braucht. Das leuchtet mir nicht ein. Gott ist doch frei. Wer schreibt ihm vor, dass er ein Opfer braucht?
So, das war mein Beitrag zu eurer Diskussion. Ich hoffe, dass sie weitergeht.
Liebe Grüße
Euer Frank Muchlinsky
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