Was sind Marginalien in liturgischem Sinn?

Alexis

Lieber Herr Muchlinsky,

im liturgischen Kalender der Nordkirche bin ich auf den Begriff "Marginalie" gestoßen, den ich sonst auf anderen liturgischen Kalendern nicht finde. Können Sie mir erklären, wofür dieser Begriff im liturgischen Bereich steht?

Vielen Dank im Voraus!

Herzliche Grüße

Alexis

Lieber Alexis,

 

Marginalien im eigentlichen Sinne sind "Randnotizen". Das haben Sie sicherlich schon bei Wikipedia lesen können. Marginal bedeutet ja auch im übertragenen Sinne "randständig" im Sinne von "kann man auch vernachlässigen". Im liturgischen Bereich haben die Marginaltexte eine sehr andere Bedeutung. Lassen mich kurz ausholen:

 

Die Texte, die im Gottesdienst vorkommen sollen, sind für das gesamte Kirchenjahr festgelegt. Das gilt für die Predigttexte ebenso wie für die Lesungen aus den Evangelien, aus den Briefen und aus dem Alten Testament. Die einzelnen Bibeltexte nennt man "Perikopen". Für die Predigttexte gibt es einen Zyklus von sechs Jahren, das heißt, eine "Perikopenreihe" dauert jeweils ein Jahr, und es gibt sechs verschiedene Reihen. Wenn die alle durch sind, beginnt das Ganze wieder von vorn.

 

Die Verbindlichkeit dieser Perikopenordnung ist recht hoch. Sie entsteht in einem langen Diskussionsprozess in der Liturgischen Konferenz und wird dann vom Rat der EKD den Gliedkirchen zur Anwendung empfohlen. Dort in den Landeskirchen wird die Ordnung durch die Synoden als Gesetz beschlossen. Pfarrerinnen oder Pfarrer, die sich nicht an die vorgeschriebenen Predigttexte halten wollen, sollen das nur in begründeten Ausnahmefällen tun. Nun gibt es allerdings die Möglichkeit, anstelle des vorgeschriebenen Predigttextes einen alternativen Text zu wählen. Diese Alternativen sind die sogenannten Marginaltexte.

 

Diese Marginaltexte werden in manchen Landeskirchen noch durch eigene Reihen ergänzt. So gibt es in der Württembergischen Landeskirche die sogenannte "Württembergische Reihe" an Marginaltexten, die entsprechend nur in dieser Landeskirche als Alternativpredigttexte gültig sind.

 

Derzeit wird die Perikopenordnung überarbeitet, und die Liturgische Konferenz hat vorgeschlagen, eine Reihe von ehemaligen Marginaltexten zu "regulären" Predigttexten zu erheben. "Demzufolge wurde beispielsweise 1 Mose 32,23-32 (Jakobs Kampf am Jabbok), bislang Marginaltext am 17. So n. Trin, zum Predigttext am Sonntag Quasimodogeniti." (Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte, Entwurf zur Erprobung, Seite 15). Auf diese Weise werden also tatsächlich randständige Texte in den Mittelpunkt gebracht.

 

Ich grüße herzlich!

Frank Muchlinsky

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