Wie hält es die evangelische Kirche mit dem Glauben an Engel?

Köchling, Richard
Engelsflügel am Himmel
©Getty Images/EyeEm/Michael Moeller

Wie hält es die evangelische Kirche mit dem Glauben an Engel? Mit der Existenz von Engeln?
In Luthers Katechismus findet sich darüber nichts,
im Heidelberger Katechismus Frage 30 und 124?
Gibt es überhaupt eine dem Kath. Katechismus vergleichbare Zusammenstellung der verbindlichen Glaubensinhalte in den evangelischen Kirchen? Wenn ja, welche?
Ich beschäftige mich intensiv mit christlicher Kunst und brauche natürlich die literarischen Quellen.
Vielen Dank.

Lieber Herr Köchling,

es ist überraschend, wie viele Engel auch in der Evangelischen Kirche zu sehen sind. In meinem Pfarramt verschenken wir gerne kleine Bronzeengel. Neben meiner Kanzel schwebt seit Weihnachten ein Engel aus leichtem Papier. Am 24. Dezember wird der wieder im Weihnachtsbaum einen Platz haben. Auch in der eher vom Protestantismus geprägten Kunst finden sich zahlreiche Engeldarstellungen. Ernst Barlach hat zum Beispiel den großen schwebenden Engel geschaffen, der in der Antoniter Kirche in Köln und in Güstrow zu sehen ist, und die Skulptur „Geistkämpfer“ in Kiel trägt Engelflügel. Diese Kunstwerke erreichen viele Menschen, prägen Gottesbilder, trotzdem bleibt die evangelische Theologie beim Thema Engel eigentümlich zurückhaltend.

Die Spannung zwischen der Kunst und der Frömmigkeit vieler Menschen auf der einen Seite und der Theologie auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen. Selbst der von Ihnen erwähnte Heidelberger Katechismus bleibt bei den Engeln unbestimmt. In der Antwort auf Frage 124 „Was bedeutet die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden"?“ heißt es „Hilf, dass wir und alle Menschen unserm eigenen Willen absagen und deinem allein guten Willen ohne alles Widersprechen gehorchen, so dass jeder seine irdischen Aufgaben so willig und treu ausübt wie die Engel im Himmel.“ heißt es. Es wird nur vorausgesetzt, dass es Engel gibt. Eine Konkretion aber bleibt aus.  

Eine verbindliche Engelkunde werden Sie in der evangelischen Theologie nicht finden. Es gib auch keine festgelegte Engelhierarchie. Das liegt an der Reformation. Die Reformatoren haben Jesus Christus in das Zentrum der Theologie gerückt. Das ist verbindlich. Das „solus christus“ der Reformation heißt „allein Christus“ und markiert den Zentralpunkt. Von ihm aus entwickelt sich die damals noch junge evangelische Theologie. Engel ordneten die Reformatoren eher der privaten Frömmigkeit zu. Engel sind aus der Sicht der Reformation Diener Christi, treten uneigennützig auf und sind an die Verkündigung des Wortes Gottes gebunden. Sie künden Heil an und drohen auch mit Unheil. Als Theologen im 19. Jahrhundert auf die Auswirkungen der Aufklärung reagierten, verbannten sie die Engel fast vollständig aus der Theologie.

Dietrich Bonhoeffer schreibt an seine Verlobte aus dem Gefängnis: „Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: „zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken“ so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder“ (Dietrich Bonhoeffer, Maria von Wedemeyer, Brautbriefe Zelle 92, S. 208). Kurze Zeit später dichtet er das Lied „Von guten Mächten“. Bonhoeffer meidet das Wort „Engel“, nüchtern und klar unterstreicht er, was gemeint ist: Gott ist da. Heute denkt die Theologie bei Engeln an Energien, Kraftfelder und leibhafte Engel, die aber immer von Gott her mit seiner Autorität und einem Auftrag ausgestattet sind. Aber es wird keine verbindliche Lehre formuliert.

Der kleine Bronzeengel, den ich gerne verschenke, hält seine Hände zum Segen erhoben, der Papierengel ist aus einem Blatt, auf dem die Weihnachtsgeschichte abgedruckt ist, gefaltet. So wird an der Segensgeste und dem Papier erkennbar, dass diese beiden Engel dem „solus christus“, dem „allein Jesus Christus“ zugeordnet bleiben.

Mit freundlichen Grüßen, Henning Kiene, Pastor

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